2023: Pressekonferenz der Berliner Register am 11. April 2024
Pressemappe:
- Auswertung Berlin 2023 (PDF, 29 Seiten)
- Pressemitteilung (PDF, 2 Seiten)
- Beispielvorfälle aus 2023 (PDF, 2 Seiten)
- Übersicht Zahlen (PDF, 1 Seite)
- Übersicht Vorfallskategorien (PDF, 1 Seite)
- Excel-Tabellen mit Zahlen (XLXS)
Bezirkliche Auswertungen:
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
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Die Berliner Registerstellen erfassten für das Jahr 2023 insgesamt 5286 Vorfälle (2022: 4156). Der Anstieg betrifft alle inhaltlichen Themenfelder, einzige Ausnahme bildet die Kategorie Rechte Selbstdarstellung. Besonders fiel 2023 auf, dass Dynamiken im Internet, wie Desinformation, Hetze und Propaganda direkte negative Auswirkungen auf Minderheiten in ihrem Alltag haben. In den Themenfeldern LGBTIQ*-Feindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus erreichten die Vorfallszahlen ihre bisherigen Höchststände. In diesen Themenfeldern ist der Zusammenhang zwischen Geschehen auf der Straße und Mobilisierungen im Internet besonders deutlich.
Im Durchschnitt wurden pro Tag 14 Vorfälle dokumentiert. Angriffe (2023: 329; 2022: 255) machen 6 Prozent der Gesamtzahl aus. 19 Prozent sind Beleidigungen und Bedrohungen (2023: 1029; 2022: 657). Fälle von struktureller Benachteiligung haben einen Anteil von 10 Prozent an der Gesamtzahl (2023: 538; 2022: 316). Propaganda ist mit 54 Prozent aller Vorfälle die größte Kategorie (2023: 2865; 2022: 2459). Veranstaltungen gehen mit 6 Prozent in die Auswertung ein (2023: 328; 2022: 341), während Sachbeschädigungen (2023: 187; 2022: 117) und Sonstige Vorfälle (2023: 10; 2022: 11) zusammen 4 Prozent der Vorfälle ausmachen. 28 Prozent aller Vorfälle sind rassistisch motiviert (2023: 1459; 2022: 1132), 21 Prozent antisemitisch (2023: 1113; 2022: 810). 13 Prozent waren der Verharmlosung des Nationalsozialismus (2023: 704; 2022: 655) und 15 Prozent der rechten Selbstdarstellung (2023: 787; 2022: 808) zuzuordnen. 10 Prozent der Vorfälle richteten sich gegen politische Gegner*innen (2023: 525; 2022: 407), 9 Prozent waren LGBTIQ*-feindlich motiviert (2023: 464; 2022: 239), 3 Prozent waren behindertenfeindlich (2023: 144; 2022: 56) und je ein Prozent sozialchauvinistisch (2023: 45; 2022: 22) und antifeministisch (2023: 45; 2022: 27).
Die Verdopplung der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle (2023: 464; 2022; 239) ist das Ergebnis mehrerer Kampagnen aus den letzten Jahren, die sich gegen die Gleichstellung queerer Menschen richteten. Dazu gehörten im Jahr 2023 der „Stolzmonat“ und die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz. Die Hetze im Netz ist ein Grund für den Anstieg der Zahlen. Zudem sind queere Menschen und ihre Symbole öffentlich sichtbarer geworden. Es werden Regenbogenfahnen an vielen Orten gezeigt, gleichgeschlechtliche Paare leben offener als früher in den Außenbezirken und haben dort einen Alltag und die Zahl an trans Personen steigt. Dadurch gab es mehr Gelegenheiten sie anzugreifen als in den Vorjahren.
Antisemitische Vorfälle stiegen 2023 mit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel stark an (2023: 1113; 2022: 810). 62 Prozent (689) der antisemitischen Vorfälle, darunter 22 Angriffe und fast 200 Beleidigungen / Bedrohungen und 75 Sachbeschädigungen wurden nach dem 1. Oktober erfasst. Die Zahlen in den Innenstadtbezirken sind dabei deutlich höher als an den Rändern der Stadt. Gründe dafür sind, dass in den Innenstadtbezirken Demonstrationen und Kundgebungen stattfinden, auf denen israelbezogener Antisemitismus geäußert wurde.
Außerdem existieren in diesen Bezirken mehr jüdische Einrichtungen als in den Randbezirken, die Ziel von Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Schmierereien wurden. In den sozialen Netzwerken wurde der Antisemitismus für rassistische Stereotype instrumentalisiert, wie das des „eingewanderten Antisemitismus“. Diese Darstellung verkennt, dass Antisemitismus ein Welterklärungsmodell ist und als Bindeglied unterschiedlicher politischer Spektren fungiert.
Auch rassistische Vorfälle stiegen an (2023: 1459; 2022: 1132). Dabei sind jahreszeitliche Schwankungen der Vorfallszahlen zu beobachten, die mit öffentlichen Debatten einhergehen, in denen rassistische Ressentiments verbreitet wurden. Die Verknüpfung von sozialen Problemlagen mit Migration, schürt und bestätigt Emotionen wie Angst und Hass gegenüber geflüchteten Menschen. Die Leidtragenden sind all jene, die als Projektionsfläche herhalten müssen. So stiegen die rassistischen Angriffe (2023: 155; 2022: 130) und die Bedrohungen/Beleidigungen (2023: 424; 2022: 333) an. Zudem wurden mehr strukturelle Benachteiligungen (2023: 385; 2022: 262) erfasst, die aus Daten von Beratungsstellen stammen, die im Vorjahr nicht zur Verfügung standen.
Mehr als in den Jahren zuvor, waren die Registerstellen Anfeindungen im Internet ausgesetzt. Durch einen mehrwöchigen Shitstorm gegen die Registerstellen wurde klar, dass Desinformation, Verschwörungsglaube, Propaganda und organisierter Hass politische Strategien im Internet sind. Sie sollen politische Akteur*innen, die sich gegen die extreme Rechte stark machen aus der Online-Öffentlichkeit vertreiben und den demokratischen Diskurs einschränken. Zusätzlich wird das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben und die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.
Kati Becker, Koordinatorin der Berliner Register kommentiert die Ergebnisse:
„Wir müssen uns für die Zukunft wappnen. Die Gesellschaft muss sich in ihrer Breite mit Manipulation, Desinformation und der Funktionsweise sozialer Netzwerke auseinandersetzen: Politik, Medien, Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen, Bildungseinrichtungen, soziale Organisationen und jede*r Einzelne. So kann langfristig Hass, Spaltung und Gewalt auf der Straße zurückgedrängt werden.“
Die Berliner Register dokumentieren neben gewalttätigen Angriffen und massiven Bedrohungen auch andere Vorfälle wie zum Beispiel Propaganda-Delikte und Beleidigungen. Die Vorfälle werden nur erfasst, wenn sie einen extrem rechten, rassistischen, antisemitischen, LGBTIQ*-feindlichen, behindertenfeindlichen, sozialchauvinistischen oder antifeministischen Hintergrund haben. Ziel der Register ist es, alltägliche Formen von Diskriminierung sichtbar zu machen, um rechtzeitig Impulse für die Entwicklung von Gegenstrategien zu geben.