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23.11.2022 Register Lichtenberg

Veranstaltungsbericht: „Von rechten Schmierereien zu Verschwörungsmythen der Mitte – Antisemitismus in Lichtenberg heute“


Tisch mit Informationsmaterial der Lichtenberger Registerstelle, Personen im Hintergrund sehen sich andere Informationstische an.

Am 17. November 2022 fand im Hubertusbad in Lichtenberg die Veranstaltung „Von rechten Schmierereien zu Verschwörungsmythen der Mitte – Antisemitismus in Lichtenberg heute“ statt.

Zu Beginn konnten die Besucher*innen sich im Foyer über die Arbeit diverser landesweiter und lokaler zivilgesellschaftlicher Akteur*innen informieren. So gab es unter anderem Info-Tische von der Amadeu-Antonio-Stiftung, der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS), Amaro Foro, den Omas gegen Rechts, der Antifaschistischen Vernetzung Lichtenberg, des Arbeitskreis Stolpersteine, des Kieztreffs Undine, des Lichtenberger Registers, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e.V.), sowie der der Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke. Die Vernetzung unterschiedlicher Akteur*innen in Lichtenberg und Berlin sei wichtig, um Sichtbarkeit für das Thema Antisemitismus, aber auch eine Ansprechbarkeit nach antisemitischen Vorfällen herzustellen, so Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS).

Der Lichtenberger Antisemitismusbeauftragte, André Wartmann, betonte, dass die Vernetzung mit lokalen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen auch ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit sei. So sei die Veranstaltung im Hubertusbad Teil der Lichtenberger Aktionswochen gegen Antisemitismus, welche in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen lokalen Akteur*innen entstanden sei. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, sprach einleitende Worte und erklärte, dass in Lichtenberg lediglich zwei Prozent der Mitglieder der jüdischen Gemeinde leben würden. Dies hänge auch mit der historischen Entwicklung Lichtenbergs in den sogenannten „Baseballschläger-Jahren“ zusammen. Es sei wichtig, nicht nur aktiv gegen Antisemitismus einzustehen, sondern gleichzeitig auch jüdisches Leben in Lichtenberg sichtbarer zu machen. Nach den einleitenden Worten folgten drei kurze Eingangsstatements.

Dokumentation antisemitischer Vorfälle

Julia Kopp von RIAS stellte die Dokumentation antisemitischer Vorfälle in Lichtenberg vor. In Lichtenberg würden vergleichsweise weniger Vorfälle gemeldet als in anderen Berliner Bezirken. Dies sei aber nicht zwangsläufig ein Indikator für ein geringeres Vorkommen von antisemitischen Vorfällen. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da RIAS nur jene Vorfälle dokumentieren könne, die durch Melder*innen an sie herangetragen werden. Im Hinblick auf antisemitische Angriffe wären die dokumentierten Fallzahlen jedoch ähnlich hoch, wie in anderen Bezirken. Derlei Angriffe haben sowohl für die Betroffenen teils schwere physische und psychische Konsequenzen, als auch eine Wirkung in die jüdische Community hinein. Die Vorfälle in Lichtenberg hätten häufig einen rechtsextremen Hintergrund. Zudem hätte es in den letzten Jahren verstärkt Gelegenheitsstrukturen für Antisemitismus gegeben, wie beispielsweise die verschwörungsideologischen Proteste im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie.

Verschwörungsideologien

Anschließend präsentierte Anna Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) eine Einführung zum Thema Verschwörungsideologien. So seien verschwörungsideologische Argumentationen gekennzeichnet durch fünf Merkmale: die Vorstellung ein Geheimwissen erlangt zu haben, das Anbieten einfacher Lösungen, das Anführen pseudowissenschaftlicher „Beweise“, die Instrumentalisierung von zufälligen Ähnlichkeiten und Mustern, sowie das Anpassen aller Ereignisse an die verschwörungsideologische Erzählung. Für Menschen, die Verschwörungsideologien anhängen, hätten diese unterschiedliche Funktionen. So hätten Verschwörungserzählungen eine sinn- und erkenntnis-stiftende Funktion und könnten somit komplexe Situationen vereinfachen. Zudem wirken sie identitätsstiftend und geben die Möglichkeit, sich selbst aufzuwerten. Des Weiteren verfügen sie über eine Legitimationsfunktion, die beispielsweise Gewalt gegen die imaginierten „Feinde“ rechtfertigen würde. Insbesondere die Corona-Proteste hätten zu einer starken Verbreitung von Verschwörungsideologien geführt. So hätten sich verschiedene Milieus (extreme Rechte, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen, Holocaustleugner*innen usw.) unter einem gemeinsamen Widerstandsnarrativ vereint. Die konkrete Kritik, die die einzelnen Demonstrant*innen hätten, würden dethematisiert und der Protest entpolitisiert. Zudem sei es eine Strategie bestimmte Begriffe zu besetzen, wie beispielsweise „Freiheit“, „Meinungsfreiheit“ oder „Diktatur“. Die Grenzen des Sagbaren hätten sich massiv verschoben und eine Normalisierung verschwörungsideologischer Inhalte stattgefunden.

Besonderheiten im Bezirk Lichtenberg

Im Anschluss erläuterte Annika Eckel, Leiterin der Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke, dass bezirksspezifische Faktoren, das Monitoring in Lichtenberg beeinflussen würden. So würden sich Menschen, die von antisemitischen Vorfällen betroffen sind, oft eher an Projekte aus der Community wenden. In Lichtenberg würde es an solchen Orten fehlen, so gäbe es wenig Raum für Vernetzung und Empowerment. Diese Feststellung wird gestützt von einer aktivierenden Befragung die Licht-Blicke 2016 durchführte. Des Weiteren gäbe es in Lichtenberg nach wie vor organisierte Neonazis, die versuchen Angsträume für bestimmte Menschen herzustellen. Zudem hätten die verschwörungsideologischen Proteste auch in Lichtenberg zu einem starken Anstieg antisemitischer Vorfälle geführt. Es gäbe jedoch in Lichtenberg ein starkes Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, die sich diesen Entwicklungen entgegenstellen. So sei es eine Besonderheit, dass Lichtenberg einen bezirklichen Antisemitismusbeauftragten habe, dass es einen Runden Tisch zu Politischer Bildungsarbeit gäbe, lokale antifaschistische Gruppen sich gegen Rechtsextremismus engagieren würden und es schnell zu Solidaritätsaktionen (wie bspw. Kundgebungen) nach antisemitischen Vorfällen kommen würde. Ausbaufähig sei die politische Bildungsarbeit in Hinblick auf Antisemitismus. Diese habe in der Vergangenheit häufig in Bezug auf das Gedenken an die Shoa stattgefunden und solle in Zukunft verstärkt mit einem Fokus auf aktuelle antisemitische Denk- und Handlungsweisen stattfinden.

Abschließend konnte das Publikum in einer offenen Diskussionsrunde eigene Fragen stellen. So wurde insbesondere über die Entwicklung der verschwörungsideologischen Proteste im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie, über die Verankerung von Verschwörungserzählungen in der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft und über die Spezifika des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostberliner Randbezirken diskutiert. Schließlich konnten die Besucher*innen den Abend mit Getränken und Catering des Lokals „Morgen wird besser“ ausklingen lassen.

Wir möchten uns ganz herzlich bei RIAS, der MBR, Licht-Blicke, dem Antisemitismusbeauftragten André Wartmann, dem Hubertusbad und allen Akteur*innen, die diese Veranstaltung ermöglicht haben, für den spannenden und sehr gelungenen Abend bedanken!

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