Jahresbericht der Berliner Registerstellen - Pankow
Der Bezirk Pankow ist mit knapp 411.000 Einwohner*innen der aktuell einwohner*innenstärkste Bezirk von Berlin. Der Prenzlauer Berg ist hierbei der Ortsteil mit der höchsten Bevölkerungsdichte im ganzen Bezirk. Insgesamt wohnen knapp 165.000 Menschen hier, während im Ortsteil Pankow 65.375 Menschen und in Weißensee 54.750 Menschen leben. Zum Norden hin umfasst der Bezirk weitere zehn Ortsteile und eine relativ große Fläche, sodass im Schnitt 3.985 Einwohner*innen pro Quadratkilometer im Bezirk leben. Die S-Bahnstationen entlang der Ringbahn (Schönhauser Allee, Greifswalder Straße etc.), aber auch der S-Bahnhof Pankow sowie der Antonplatz in Weißensee und die U-Bahnstationen entlang der U2 sind zentrale Umsteigeplätze, an denen viele Menschen aufeinandertreffen.
Insgesamt 343 Vorfälle sind im Jahr 2021 für den Bezirk Pankow verzeichnet worden. Im Vergleich zum Vorjahr sind das knapp 100 Vorfälle mehr (2020: 248, 2019: 236). Trotz schwacher organisierter Neonazi-Szene gab es einen starken Anstieg an Propaganda-Vorfällen: seien es Shoa-relativierende Sprühereien, Aufkleber aus rechten Onlineversandhandeln oder von neonazistischen Parteien. Auch im zweiten Pandemie-Jahr hat sich gezeigt, dass eine Vielzahl von Menschen politische Botschaften in den öffentlichen Raum getragen haben.
Neben der Propaganda sind auch Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien 2021 gestiegen. Der Grund: Im Laufe des Jahres wurden vermehrt Anti-Schwarze Beleidigungen und rassistische Diskriminierungen in der Schule gemeldet. Ebenfalls gab es einen Anstieg bei struktureller Benachteiligung, oft wegen Verweigerung von Transfer-Leistungen durch Ämter.
Das Motiv mit den meisten Vorfällen war Rassismus (2021: 102; 2020: 105; 2019: 93). Wie in den Jahren zuvor, ist es das Hauptmotiv bei Angriffen und Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien. Beunruhigend ist der Anstieg antisemitischer Vorfälle im Jahr 2021. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Zahl mehr als verdoppelt (2021: 47, 2020: 21; 2019: 21). Der Anstieg resultiert aus dokumentierten, selbstgemachten Aufklebern mit antisemitischem Inhalt und Bezug zum Nationalsozialismus in Weißensee und Pankow-Zentrum. Hinzu kommt eine Vielzahl an Shoa-relativierenden Sprühereien, in denen „Ungeimpfte“ mit Jüd*innen im Nationalsozialismus gleichgesetzt wurden.
Spaziergänge, Kundgebungen oder Demonstrationen, die sich mit den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie beschäftigten, wurden nicht pauschal aufgenommen. Wenn Veranstaltungen dieser Art aufgenommen wurden, dann nur, wenn es zu Vorfällen kam, die als Grundlage die Kategorien der Register hatten. Dies konnte sein, wenn z.B. antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet wurden oder „Ungeimpfte“ mit Jüd*innen gleichgesetzt und somit der Nationalsozialismus verharmlost wurde.
Beleidigungen, Bedrohungen gestiegen – Hauptmotiv bleibt Rassismus
Die Zahl der Angriffe ist im Jahr 2021 gesunken (2021: 27; 2020; 35; 2019: 28). Die Entwicklung ist mit Vorsicht zu betrachten: für das Jahr 2021 gibt es eine Untererfassung. In allen vorangegangenen Jahren wurden Daten über Gewalttaten aus dem Themenbereich Hasskriminalität vom LKA an zivilgesellschaftliche Stellen übermittelt, die in die Chronik aufgenommen wurden. Für das Jahr 2021 wurden diese Daten aufgrund von Datenschutzbedenken nicht mehr übermittelt. Aus diesem Grund gibt es in ganz Berlin trotz deutlich gestiegener Anzahl von Meldungen, weniger dokumentierte Gewaltvorfälle. Insofern bildet die Zahl nur die öffentlich bekannt gewordenen Angriffe ab sowie diejenigen, die ReachOut, RIAS oder den Registern gemeldet wurden.
Es gab in Pankow im Jahr 2021 insgesamt 18 rassistische (2020: 24), 3 antisemitische (2020: 3), 4 LGBTIQ*-feindliche Angriffe (2020: 6) sowie 3 Angriffe, die sich gegen politische Gegner*innen (2020: 2) richteten.
Beleidigungen, Bedrohungen oder Pöbeleien sind anders als die Angriffe, gestiegen (2021: 51, 2020: 37; 2019: 39). Das Hauptmotiv war Rassismus: insgesamt 31 Vorfälle waren rassistische Beleidigungen oder Bedrohungen (2020: 22). Davon waren 13 Anti-Schwarz-rassistisch motiviert (2020: 7) und es gab eine antimuslimisch-rassistische Beleidigung (2020: 5). 9 waren antisemitisch motiviert (2020: 8), 3 LGBTIQ*-feindlich (2020: 2), 4 richteten sich gegen Politische Gegner*innen (2020: 1), eine war sozialchauvinistisch (2020: 0) und 3 Mal wurde der Nationalsozialismus verharmlost oder verherrlicht (2020: 4).
Hohe Anzahl an Angriffen und Bedrohungen im Prenzlauer Berg
In Prenzlauer Berg wurden insgesamt 98 Vorfälle verzeichnet und es setzte sich der Anstieg der letzten Jahre fort (2020: 82; 2019: 77). Dieser Ortsteil ist innerstädtisch geprägt. Das bedeutet, dass es Straßen und Parks gibt, in denen nicht nur Anwohner*innen, sondern auch andere Berliner*innen und Tourist*innen flanieren, feiern und essen gehen. Im Mauerpark, am Kollwitzplatz, in der Kulturbrauerei, der Schönhauser Allee und in den umliegenden Straßen sind deutlich mehr Menschen unterwegs als in Karow oder Buch. Die Menschen sind divers hinsichtlich ihrer Herkunft, ihres sozialen Status und ihrer Lebensweisen. Das offene Klima, das alle innerstädtischen Bezirke prägt, führt dazu, dass sich Menschen in ihrer Diversität offen zeigen. Dadurch gibt es häufiger Gelegenheiten im Alltag, bei denen potenziell Betroffene auf Täter*innen stossen, die ihnen gegenüber ausfallend und gewalttätig werden.
Im Vergleich zum letzten Jahr gab es einen leichten Anstieg bei Propaganda-Delikten (2021: 46; 2020: 39) sowie bei Beleidigungen oder Bedrohungen (2021: 27, 2020: 20). Die Hälfte aller Angriffe aus dem ganzen Bezirk ereigneten sich im Prenzlauer Berg (2021: 14; 2020: 17). Hierbei waren 3 antisemitisch motiviert, 2 LGBTIQ*-feindlich, 2 richteten sich gegen den Politischen Gegner und 7 hatten Rassismus als Motiv.
Verdopplung der Vorfälle in Pankow-Zentrum – mehr rechte Propaganda und Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien
Im gesamten Ortsteil Pankow-Zentrum wurden 95 Vorfälle gemeldet, was ein starker Anstieg zum Vorjahr ist (2020: 49; 2019: 32). Aufgrund der Untererfassung für 2021 wurde ein Rückgang von Angriffen (2021: 5; 2020: 7) verzeichnet. Die Zahl der Bedrohungen und Beleidigungen ist jedoch gestiegen (2021: 13, 2020: 4). Eine Verdoppelung der Meldungen gab es bei Propaganda-Delikten, die von 36 im Jahr 2020 auf insgesamt 75 im letzten Jahr stiegen. Gerade im Kissingkiez und angrenzend zum Ortsteil Weißensee wurde immer wieder verschiedenste rechte und neonazistische Propaganda entdeckt und entfernt. Oft waren es Aufkleber von zwei rechten Onlineversandhandeln sowie von neonazistischen Parteien, der NPD und dem III. Weg.
Starker Anstieg antisemitischer und rechter Propaganda in Weißensee – Kontinuierliche rassistische Propaganda in Blankenburg
Die Gesamtzahl aller Vorfälle in Weißensee betrug 2021 insgesamt 63 (2020: 39, 2019: 37). Im letzten Jahr gab es zwei verschiedene Sorten antisemitischer Aufkleber, die in Weißensee gerade in der Nähe zu Pankow-Zentrum, gefunden wurden. In diesen wurden Jüd*innen als Feinde markiert und es wurden Vernichtungsphantasien mit Bezug zum Nationalsozialismus geäußert. Insgesamt hat sich die Anzahl der Propaganda-Delikte in allen Motiven verdoppelt. Die Anzahl stieg von 28 im Jahr 2020 auf 54 im letzten Jahr. Die Anzahl der Angriffe ist leicht gesunken (2021: 3; 2020: 5), Beleidigungen und Bedrohungen sind gleichgeblieben (2021: 3; 2020: 3).
Seit 2020 werden kontinuierlich Aufkleber und Sprühereien aus Blankenburg gemeldet. Hierbei tauchen oft selbstgemachte rassistische Aufkleber auf, die Schwarze Menschen rassistisch beleidigen. Insgesamt sind 16 Propaganda-Delikte im Ortsteil verzeichnet worden, fast alle hatten als Motiv Rassismus.
Rassistische Vorfälle weiterhin auf hohem Niveau
Von insgesamt 102 rassistischen Vorfällen waren 18 Angriffe, 31 Beleidigungen oder Bedrohungen, 43 Propaganda-Delikte und 10 beinhalteten eine strukturelle Benachteiligung. Besorgniserregend sind insgesamt 13 Vorfälle, die sich im Kontext von Schule ereigneten. Diese Vorfälle wurden uns von Kooperationspartner*innen wie EOTO, ADAS sowie Melder*innen, im letzten Jahr verstärkt übermittelt. Bei 10 Vorfällen wurden Menschen aufgrund einer rassistischen Diskriminierung durch Behörden von Transfer-Leistungen ausgeschlossen. Diese Vorfälle wurden uns von Amaro Foro e.V. gemeldet. Bei den meisten rassistischen Vorfällen andelt es sich nicht um Erlebnisse, die Betroffene nur einmal machen, sondern um Dinge, die sie im Verlauf ihres Lebens immer wieder erleben. Dadurch sind sie negativ belastet. Die Beratungsstellen und Empowermentangebote sind wichtig, um diese Menschen zu unterstützen.
Starker Anstieg antisemitischer Vorfälle
Beunruhigend ist der Anstieg von Vorfällen, die ein antisemitisches Motiv hatten. So gab es einen Anstieg von 21 Meldungen im Jahr 2020 auf insgesamt 47 Vorfälle im Jahr 2021. Davon waren 3 Angriffe (2020: 3), 9 Beleidigungen oder Bedrohungen (2020: 8), 5 Sachbeschädigungen (2020: 2) und auf 3 Veranstaltungen wurden antisemitische bzw. Shoa-relativierende Äußerungen getätigt (2020: 0). Hinzu kommen 26 Propaganda-Delikte (2020: 7). Dies waren Aufkleber, aber auch Sprühereien, die „Ungeimpfte“ mit Jüd*innen im Nationalsozialismus gleichsetzten.
Schwache neonazistische Szene im Bezirk – trotzdem mehr Bezüge zum Nationalsozialismus
Weiterhin kann für den Bezirk eine schwache bis kaum vorhandene neonazistische Szene attestiert werden. Aktuell gibt es keine organisiert agierende Gruppe oder Parteistruktur. Die NPD trat nicht mit einer Bezirksliste zu den Wahlen an. Dementsprechend gab es keinerlei Engagement im Wahlkampf. Es fanden im Laufe des Jahres auch keine anderen Veranstaltungen oder Aktionen der Partei statt.
Gleichzeitig tauchen immer mehr Aufkleber und Flyer der neonazistischen Partei III. Weg auf. Eine Entwicklung, die ebenso in anderen Berliner Bezirken beobachtet wird. Auch wenn es aktuell keine Anzeichen für eine bezirkliche Gruppierung gibt, kann davon ausgegangen werden, dass es Sympathisant*innen dieser Partei gibt. Es gab zwei Versuche von einem kleinen Personenkreis von Jugendlichen Visitenkarten für die Jugendorganisation des III. Wegs vor Schulen im Prenzlauer Berg und Weißensee zu verteilen. Ebenso tauchten zum Ende des Jahres Mini-Flyer in der Größe von Visitenkarten der Partei in Buch und Pankow-Zentrum auf. Es hat den Anschein als hätte sich das aktionsorientierte Neonazi-Spektrum im Bezirk dem III. Weg angeschlossen.
Fazit
Die Arbeit des Pankower Registers wird getragen von einer Vielzahl von Melder*innen, die tagtäglich Aufkleber und Sprühereien gemeldet haben und immer wieder melden. Diesen regelmäßigen Melder*innen gilt großer Dank. Denn nur durch die Meldungen kann ein gutes Bild vom Bezirk gezeichnet und Entwicklungen in Kiezen und Sozialräumen rechtzeitig erkannt werden. Danke an alle, die im letzten Jahr bei uns Vorfälle gemeldet haben.
Gleichzeitig kamen auch 2021 immer wieder Menschen dazu, die zum ersten Mal einen Vorfall meldeten. Sie nutzen die neuen Meldemöglichkeiten über Twitter, Signal oder der Antidiskriminierungs-App. Die Bekanntheit der Berliner Register ist durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit im letzten Jahr gestiegen. Dies zeigte sich auch in den Meldungen beim Pankower Register. Während die Zahl der Quellen über die Jahre nur zaghaft anstieg, waren 2021 viele Meldungen von unterschiedlichen Menschen dabei, die bisher noch keine Vorfälle geschickt hatten.
In Buch und Karow gibt es seit 2014 das „Netzwerk für Demokratie und Respekt Buch-Karow“. Durch die kontinuierliche Arbeit des Netzwerkes, konnten in den Sozialräumen viele Menschen für alltägliche Diskriminierung sensibilisiert werden. Dadurch wurden im letzten Jahr von dort Meldungen erfasst, die ohne das Engagement vor Ort nicht sichtbar wären. Auch diesem Netzwerk gilt einen großer Dank.
Im Jahr 2021 konnte einmalig auch die Arbeit mit BIPoC Personen gestärkt werden. Gerade Schwarze Menschen konnten verstärkt angesprochen werden und über die Arbeit der Register informiert werden. In qualitativen Interviews wurde damit begonnen über rassistische Erfahrungen in Pankow zu sprechen. Dies führte nicht unbedingt zur Erfassung von Vorfällen, zeigte aber, dass es in Kitas und Schulen immer wieder zu rassistischen Diskriminierungen kommt.
Den gesamten Jahresbericht aller Berliner Registerstellen findest Du hier.