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11.10.2022 Register Lichtenberg

Jahresbericht Berliner Register 2021 mit Lichtenberger Beitrag erschienen


Frontpage Jahresbericht 2021

Der Bezirk

Im Bezirk Lichtenberg wohnen fast 300.000 Menschen. Der Bezirk weist je nach Ortsteil (Hohenschönhausen, Lichtenberg, Karlshorst) eine sehr unterschiedliche Bevölkerungszusammensetzung hinsichtlich der Lebensweisen, der Herkunft und des Alters auf.

Lichtenberg ist seit über 30 Jahren ein Bezirk mit einer aktiven und organisierten extrem rechten Szene. Diese konnte in den letzten 20 Jahren durch zivilgesellschaftliches Engagement und problembewusstes Handeln der Lokalpolitik und der Verwaltung zurückgedrängt werden.

Es wird eine Karte mit den Ortsteilen in Lichtenberg angezeigt. Auf den Ortsteilen sind Balken mit der Anzahl der Vorfälle für die Jahre 2020 und 2021 zu sehen. Die Anzahl der Vorfälle im Bezirk ist von 421 im Jahr 2020 auf 732 im Jahr 2021 gestiegen. Die meisten Vorfälle hat demnach Lichtenberg-Mitte mit 305, im Vorjahr 195. Es folgt Lichtenberg-Nord mit 197, im Vorjahr 107. Die dritthöchste Zahl hat Hohenschönhausen-Nord mit 87, im Vorjahr 65. In Hohenschönhausen-Süd wurden 75 Vorfälle erfasst, im Jahr 2020 nur 26. Lichtenberg-Süd weist mit 35 Vorfällen die niedrigste Zahl auf, im Vorjahr waren es 15. Vorfälle bei denen der Ortsteil unbekannt blieb, waren 66, im Vorjahr 7. Im Internet wurden 2021 7 Vorfälle erfasst. Im Vorjahr waren es 6.

Corona-Proteste, Wahlkampf und die organisierte (extreme) Rechte

Im Jahr 2021 verzeichnete das Lichtenberger Register erneut einen Höchststand von 732 gemeldeten Vorfällen. Das sind über 73 Prozent mehr als 2020 (421 Vorfälle). Diese Entwicklung setzte einen Trend aus 2020 fort, in dem trotz Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung die Vorfallmeldungen nicht sanken, sondern stiegen. Hierzu hat 2021 eine politische Radikalisierung der Corona-Proteste wie auch der Wahlkampf zu den drei Wahlen (Bundestag, Berliner Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlung) beigetragen. Zudem ist die organisierte extreme Rechte präsent in Lichtenberg und für eine hohe Zahl von Vorfällen verantwortlich.

Propaganda hat stark zugenommen

Die Registerzahlen zeigen insbesondere einen deutlichen Anstieg gesprühter und geklebter Propaganda (2019: 150 Vorfälle; 2020: 340; 2021: 594). Vor allem haben sich die Motive Rassismus, politische Gegner*innen, extrem rechte Selbstdarstellung und NSVerharmlosung erhöht. Erwähnt werden muss jedoch, dass in Lichtenberg erst seit 2021 auch solche Vorfälle aufgenommen werden konnten, bei denen bloß ein bis vier Aufkleber an einer Stelle gemeldet wurden. Das Lichtenberger Register hatte im Gegensatz zu anderen bezirklichen Registern in den vorhergehenden Jahren erst ab einer Menge von 5 Aufklebern einen Vorfall erfasst. Um die Vergleichbarkeit zwischen den Bezirken zu gewährleisten, wurden in Absprache mit den Registerstellen anderer Bezirke auch einzelne Aufkleber in die Chronik aufgenommen. In 209 Propagandavorfällen lag die Zahl der erfassten Aufkleber unter 5. Mit der alten Zählweise hätte die Propaganda also mit 385 Meldungen um 13 Prozent zugenommen, mit der neuen ist sie um 74 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Bei der Propaganda bleibt Rassismus wie schon im Vorjahr ein wichtiges Motiv. Ein sehr großer Teil davon richtet sich rassistisch gegen Geflüchtete und Immigration. Weiterhin hoch bleiben Meldungen von NS-verherrlichender (2021: 137; 2020: 102), rechts-selbstdarstellerischer (2021: 159; 2020: 85) und politische Gegner*innen diffamierender (2021: 133; 2020: 75) Propaganda. Gerade bei den Propagandameldungen sind klassische Themen der extremen Rechten sehr stark vertreten. Sie reichen von einer Serie von Hakenkreuz-Schmierereien mit Schwerpunkt in Rummelsburg bis hin zu Propaganda-Aktivitäten mit Plakaten, Flugblättern oder Aufklebern des „III. Weg“ oder der NPD.

Einfluss von Corona-Pandemie auf Vorfälle

Die Corona-Pandemie mobilisierte weiterhin Menschen, die antisemitische und teils NS-verharmlosende Propaganda ins Stadtbild bringen. Hier ziehen 2021 nun auch extrem rechte Organisationen wie NPD, “Der III. Weg” und Händler mit Flugblättern und Aufklebern zum Thema nach. Extrem rechte Akteur*innen versuchten, gesellschaftliche Verunsicherung im Kontext der Pandemie für sich zu nutzen, wenn auch mit wenig neuen politischen Impulsen. Ein Großteil Corona-leugnender Propaganda sowie die teilweise wöchentlich stattfindenden Autokorsos und Kiezspaziergänge von Corona-Leugner*innen wurden wiederum nicht erfasst, wenn sie weder antisemitisch noch NS-verharmlosend waren.

Wahlkampf ohne bedeutende Intervention der organisierten Rechten

Die Sachbeschädigungen haben mit 25 Meldungen wieder stark zugenommen (2020: 5; 2019: 13). Im letzten Jahr wurden 8 Veranstaltungen im Bezirk registriert (2020: 4; 2019: 16). In beiden Fällen steht der Anstieg überwiegend in Verbindung mit dem Wahlkampf. Allerdings blieben größere Mobilisierungen wie Kampagnen oder Demonstrationen durch die extreme Rechte aus. Lediglich die Neonazipartei und -organisation „Der III. Weg” organisierte mehrere Infotische mit bis zu 30 Unterstützern aus Berlin und Brandenburg. Zur Wahl in die BVV trat sie jedoch nicht an. Auch die NPD blieb wenig aktiv, mit einem Kandidaten für das Abgeordnetenhaus, der nur 0,6 Prozent der Stimmen erhielt. Auf eine allgemein aggressive Stimmung in Wahlkampfzeiten verweisen mehrere Meldungen von bedrohlichem und gewaltvollem Vorgehen gegen Wahlhelfer*innen und Kandidat*innen demokratischer Parteien. So wurde eine Wahlkampfhelferin der Partei Die Grünen im August während eines Infostandes am Ringcenter so stark geschubst, dass sie blaue Flecken davontrug.

Besonders brutale Angriffe

Trotz einer Untererfassung (siehe Kasten S. 6) der Gewalttaten in Berlin und dadurch einem Rückgang der Angriffe in fast allen Bezirken, wurden 27 Angriffe (2020: 25; 2019: 28) und 46 Bedrohungen, Beleidigungen, Pöbeleien (2020: 43; 2019: 38) in Lichtenberg erfasst. Das bedeutet, dass durchschnittlich alle fünf Tage eine Person im Bezirk von gewaltvoller Diskriminierung betroffen war, meist mit rassistischem Motiv. Dabei war die Qualität der Vorfälle alarmierend. Drei Angriffe mit Schusswaffen wurden gemeldet, zweimal wurden Messer verwendet, zwei Kinder wurden mit abgebrochenen Flaschen attackiert und eine Muslima von einem hochliegenden Balkon mit einem Aschenbecher beworfen. Ein Obdachloser wurde von mehreren Personen lebensgefährlich verprügelt. Auch über den Bezirk hinaus erlangten zwei Angriffe Aufmerksamkeit, in denen Betroffene selbst die Situationen gefilmt hatten: Dabei wurde eine transfeindliche Todesdrohung und eine rassistische Spuckattacke gegen einen Vater mit Kleinkind dokumentiert.

Lichtenberg Mitte bleibt Schwerpunkt von Meldungen

Mit 305 Meldungen ereignete sich ein Großteil der Vorfälle in Lichtenberg Mitte (2020: 195). Dies hängt mit hohen Propagandazahlen in der Gegend Weitlingkiez und Rummelsburg zusammen. Zudem fanden hier die meisten Angriffe und Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien statt. Mit Abstand dahinter folgt Lichtenberg Nord mit 196 Meldungen (2020: 107). Auch hier ging die Steigerung vor allem auf Propaganda zurück. Auffällig sind hier 12 Meldungen von antiziganistischer struktureller Benachteiligung, die sich auf das Jobcenter beziehen. In diesen Fällen wurde es Menschen entweder erschwert oder komplett verweigert, die ihnen zustehenden Zahlungen zu erhalten. Die Steigerung in Neu-Hohenschönhausen von 65 Meldungen in 2020 auf 87 in 2021 lässt sich vor allem mit der Zunahme von Propaganda-Aktivitäten erklären. Angestiegen sind auch die Vorfälle in Alt Hohenschönhausen (2021: 76; 2020: 26). Auffällig bleibt hier das Auftreten einer Neonazi-Sprühercrew namens “Antifa Hunter Miliz”, die auch in anderen Bezirken das Kürzel „AHM“ sprühten. In Karlshorst wurden 33 Vorfälle erfasst (2020: 15). Hier wurde gemeldet, dass bei einem Flohmarkt NS-Devotionalien verkauft wurden. Keinem Ortsteil zuzuordnen und deshalb in der Kategorie “bezirksweit” wurden 26 Vorfälle (2020: 7) aufgenommen. Dazu zählten 1 Angriff und 10 Bedrohungen, deren Tatorte auf Wunsch der Betroffenen nicht konkreter benannt wurden. Im Internet zählte das Register 7 Vorfälle (2020: 6), darunter mehrere rassistische Veröffentlichungen auf SocialMedia-Profilen, anlässlich der Internationalen Woche gegen Rassismus.

Hohe Sichtbarkeit der extremen Rechten, trotz weniger Mitgliedern

Im Kontext der organisierten Neonaziszene ließ sich beobachten, dass die älteren Organisationen wie die NPD, deren Jugendorganisation JN und Kameradschaften im Vergleich zu den Nuller- und Zehnerjahren weiterhin deutlich an Präsenz verlieren. Dies bildet sich auch im Wahlkampf und -ausgang ab. Diese Lücke versucht die Neonazikleinstpartei „Der III. Weg“ im Bezirk zu füllen, die kontinuierlich Präsenz zeigte. Obwohl sie nicht an den Wahlen teilnahm, fiel sie mit Veranstaltungen und regelmäßigen Propaganda-Touren auf. Mit seinen Bemühungen steht „Der III. Weg“ im Bezirk noch am Anfang. Ein personell bedeutender Mitgliederzuwachs konnte bislang noch nicht beobachtet werden. Aufgrund ihrer Aktivitäten und ihrer Ausrichtung als klassische Neonazi-Gruppierung wird sie weiterhin eine zentrale Herausforderung für Zivilgesellschaft und Lokalpolitik darstellen. Weitere Akteur*innen ohne klare Zugehörigkeit zu extrem rechten Organisationen traten mit Hakenkreuzen und anderen Neonazi-Schriftzügen sowie mit im Internet bestellten Aufklebern oder Flugblättern fast täglich in Erscheinung.

Mehr Antisemitismus

Auffällig war im Jahr 2021 der Anstieg antisemitischer Meldungen, die sich in Form von 3 Angriffen, 4 Bedrohungen und Beleidigungen, 2 Denkmalschändungen und 25 Propagandafällen zeigte. Die Vorfälle richteten sich gegen Israel und gegen jüdische Sichtbarkeit und standen im Kontext der Corona-Pandemie. Hier verbinden sich antisemitische Inhalte der extremen Rechten mit Verschwörungsmythen bezüglich der Corona-Pandemie. Diejenigen, die diese Propaganda verbreiteten, sind nicht zwingend Teil von extrem rechten Organisationen. Ob diese Personen sich hinsichtlich der Aktionsformen radikalisieren oder Anschluss an Neonazi-Gruppierungen suchen, muss weiter beobachtet werden.

Bessere Ausleuchtung des Dunkelfelds

In der Verteilung der gemeldeten Vorfälle spiegelt sich auch die Zahl der Anlaufstellen und Melder*innen des Lichtenberger Registers wider. Besonders in Lichtenberg Mitte und Nord gibt es viele engagierte und gegenüber Diskriminierung sensible Personen. Das Register Lichtenberg hatte im Jahr 2021 eine zusätzliche Förderung. Dadurch konnten erstmalig auch einzelne und bis zu vier Aufkleber erfasst werden. Die an die anderen Registerstellen angepasste Zählweise trug dazu bei, dass mehr als 200 Propagandafälle zusätzlich erfasst werden konnten und dadurch das Lagebild differenzierter war.

Durch Meldungen von Kooperationspartner*- innen wurden Vorfälle von struktureller Benachteiligung bekannt, die auf Diskriminierung in den Bereichen bezirklicher Behörden, Bildungseinrichtungen und Wohnungsmarkt verweisen. Hier fallen besonders die 12 Meldungen antiziganistischer Benachteiligung im Jobcenter Lichtenberg und insgesamt 10 Vorfälle von rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungssuche oder im Umfeld des eigenen Wohnraums auf. Trotz der Untererfassung der Angriffe berlinweit ist die Zahl der Gewaltvorfälle in Lichtenberg gestiegen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich zunehmend betroffene Menschen und Zeug *innen direkt an die Registerstelle wenden.

Oktober 2022

Dieser Beitrag stammt aus dem Jahresbericht 2021 der Berliner Register, der hier heruntergeladen werden kann.

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