Jahresauswertung Pankower Register 2020
Im Jahr 2020 wurden insgesamt 248 Vorfälle für den Bezirk Pankow gemeldet. Gegenüber den Vorjahren ist die Zahl der Meldungen leicht gestiegen (2019: 236; 2018: 234). Die Zahl der Angriffe (35) stellt die höchste Anzahl dar, die jemals verzeichnet wurde. Propagandavorfälle stiegen stark an. Denn die Covid-19 Pandemie hat bewirkt, dass die Menschen mehr in ihrem Wohnumfeld unterwegs waren und ihre politische Meinung in Form von Aufklebern und Sprühereien im öffentlichen Raum kundtaten. Eine Vielzahl von Aufklebern, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie standen, wurden nicht im Register aufgenommen, da sie inhaltlich nicht in die Kategorien passten. Sie waren stattdessen wissenschafts- und demokratiefeindlich.
Neben den Personen, die (extrem) rechte oder diskriminierende Propaganda verklebten oder sprühten, gab es ebenso aktive Menschen, die diese meldeten. Aufgrund neu engagierter Menschen gab es eine Vielzahl von Meldungen aus fast allen Ortsteilen. Auffällig hierbei ist ein Rückgang der Anzahl der Einträge in Berlin-Buch seit der zweiten Jahreshälfte. Es ist der niedrigste Stand für Buch seit acht Jahren. In den vorhergehenden Jahren war eine aktive rechte Szene aus Buch für eine hohe Anzahl an Vorfällen verantwortlich. Diese ist 2020 ab der zweiten Jahreshälfte nur noch sporadisch in Erscheinung getreten.
Höchstzahl von Angriffen – Rassismus Hauptmotiv
Die Anzahl der Angriffe stellt die Höchstzahl seit Gründung des Pankower Registers dar (2020: 35; 2019: 28; 2018: 24). 24 Angriffe hatten als Motiv Rassismus (2019: 19), sechs LGBTIQ*-Feindlichkeit (2019: 2), drei Antisemitismus (2019: 5) und zwei richteten sich gegen politische Gegner*innen (2019: 2). Die meisten Angriffe ereigneten sich im Mai (5) und August (9). Rassistische und LGBTIQ*-feindliche Angriffe sind Gelegenheitstaten. Das heißt, dass potenzielle Täter*innen und Opfer sich irgendwo begegnen müssen. Im Jahr 2020 war dies in Wohngebieten häufiger der Fall, weil sich dort mehr Menschen als sonst üblich aufhielten. Auch ein verbessertes Anzeigeverhalten gegenüber der Polizei kann in Bezug auf LGBTIQ*-feindliche Angriffe den Anstieg verursacht haben.
Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien sind im Vergleich zum Vorjahr recht konstant geblieben (2020: 37; 2019: 39; 2018: 50). Ein Großteil, 22 Vorfälle, war rassistisch motiviert. Antisemitismus war bei acht Vorfällen das Motiv, vier Mal war das Motiv NS-Verherrlichung/-Verharmlosung, zweimal LGBTIQ*-Feindlichkeit und einmal richtete es sich an politische Gegner. Die Zahl ist im Vergleich zur Bevölkerungsdichte niedrig. Hier wird von einem Dunkelfeld ausgegangen.
Die Kategorie Strukturelle Benachteiligung wurde erst im Laufe des Jahres bei allen Berliner Registerstellen eingeführt. Hier gab es fünf Einträge. So meldete eine Person im September, dass eine Richterin am Amtsgericht in Weißensee ein Kind mit Trisomie21 nicht anhören wollte, obwohl das Kind zu gebärdenunterstützender Kommunikation in der Lage war.
Prenzlauer Berg ist Schwerpunkt gewalttätiger Vorfälle – Anstieg neonazistischer Propaganda Pankow-Zentrum
Im Ortsteil Prenzlauer Berg ereigneten sich die meisten Angriffe und Bedrohungen und auch die meisten Vorfälle (2020: 82). Insgesamt 17 von 35 Angriffen sowie 20 von 37 Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien fanden hier statt. Die Hälfte aller Vorfälle ließ sich der Propaganda zuordnen. Die Gesamtzahl stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an (2020: 82; 2019: 77; 2018: 69). In Pankow-Ortsteil, wo die zweithöchste Zahl an Vorfällen registriert wurde (2020: 49), stellt sich die Lage anders als im Prenzlauer Berg dar: 39 von 49 Vorfällen waren Propaganda. Gerade im vierten Quartal nahm die Anzahl von Aufklebern, Plakaten und Schmierereien zu. Im östlichen Pankow-Ortsteil kam es immer wieder zu Aufkleber-Serien. Es wurden Aufkleber aus rechten Online-Versandhandeln verklebt, aber auch vermehrt Aufkleber und Plakate der neonazistischen Partei „III. Weg“. Sieben Angriffe und vier Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien ereigneten sich in Pankow-Ortsteil. Die Gesamtzahl stieg im Vergleich zu den letzten Jahren an (2020: 49; 2019: 32; 2018: 42).
Weißensee erhöhte (extrem) rechte Propaganda – stetiger Rückgang in Berlin-Buch
In Weißensee war der Anteil an Propagandavorfällen ähnlich wie in Pankow-Ortsteil: insgesamt 28 von 39 Einträgen wurden der Propaganda zugeordnet. Es ereigneten sich fünf Angriffe und drei Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien. Die Gesamtzahl stieg leicht im Vergleich zum Vorjahr (2020:39; 2019: 37; 2018: 19). In Berlin-Buch sank die Anzahl der Vorfälle um mehr als die Hälfte (2020: 22; 2019: 49; 2018: 42). Für die organisierte Neonaziszene hat Buch als Aktionsschwerpunkt an Bedeutung verloren. Erstmals seit Jahren ist Berlin-Buch somit nicht der Ortsteil mit den zweithäufigsten Einträgen. Im Jahresverlauf zeigte sich, dass 14 von 22 Vorfällen in der ersten Jahreshälfte stattfanden. Die meisten Vorfällen waren Propaganda. Es gab zwei Angriffe (2019: 3) und drei Beleidigungen, Bedrohungen oder Pöbeleien (2019: 7). Ob sich im Ortsteil Berlin-Buch wirklich weniger ereignet oder weniger gemeldet wurde, ist aktuell unklar. Es gibt von dort immer wieder Berichte über Rassismus im Alltag, die mehr Vorfälle vermuten lassen.
Rassistische Aufkleber in Blankenburg – Bedrohungen in Niederschönhausen
Aus den Ortsteilen Blankenburg und Niederschönhausen sind 2020 mehr Vorfälle als in den letzten Jahren gemeldet worden. So verzeichnete Blankenburg mit 13 Einträgen einen Anstieg von vier Vorfällen gegenüber 2019. Auch wenn die Gesamtzahl recht gering ist, war 2020 auffällig, dass in dem Ortsteil einige selbstgemachte Aufkleber aufgetaucht und vermehrt verklebt wurden. Diese beleidigten und demütigten Schwarze Menschen auf rassistische Weise. Ebenso sind Schmierereien aufgetaucht, die sich an politische Gegner*innen richteten. Alle Vorfälle im Ortsteil lassen sich der Propaganda zuordnen.
In Niederschönhausen kam es gerade in der zweiten Jahreshälfte, besonders im vierten Quartal, vermehrt zu Aufkleber und Schmierereien. Insgesamt wurden neun Vorfälle registriert (2019: 2; 2018: 6). Davon war ein Vorfall ein Angriff und einer wurde der Kategorie ‚Bedrohung, Beleidigungen oder Pöbelei‘ zugeordnet. Der Rest stellte Propagandaeinträge dar. Hierunter waren verschiedene rechte Aufkleber, aber auch Hakenkreuz-Schmierereien. Es wurde von weiteren rassistischen Bedrohungen und Beleidigungen berichtet, die aktuell noch nicht im Register dokumentiert wurden.
Schwache neonazistische Szene im gesamten Bezirk
Die neonazistischen Szenen im Bezirk Pankow sind weiterhin organisatorisch schwach aufgestellt. Der Twitter-Account der neonazistischen Partei NPD Pankow wurde im Juni erneut gesperrt, woraufhin die politische Außenwirkung noch stärker zurückging. Bis zum Sommer war die NPD mit Aufklebern, Flyern u.Ä. recht präsent, dies nahm in der zweiten Jahreshälfte sehr stark ab. Ähnlich wie in anderen Bezirken war die NPD zunehmend inaktiv. Dennoch wurde die Partei in 50 Einträgen erwähnt (2019: 57). Es gab zwei neonazistische Gedenkveranstaltungen, die der JN/NPD zugerechnet werden können. Die erste fand am 8. Mai auf dem Friedhof XII in Berlin-Buch statt. Die zweite am 15. November auf dem Friedhof der Schlosskirche in Buch. Darüber hinaus gab es ein internes Treffen der Pankower NPD und JN, über das diese selbst berichtete. Auf diesem war die Bombardierung von Dresden Thema. In rechten sowie neonazistischen Kreisen wird der Tag der Bombardierung von Dresden im Jahr 1945 dazu benutzt, die zentrale Verantwortung Deutschlands für den II. Weltkrieg zu leugnen. Am 18. Juli fand ein Fußball-Turnier der Jugendorganisation JN statt.
Aufkleber, Plakate u.Ä. der neonazistischen Partei „III. Weg“ nahmen im Laufe des Jahres im östlichen Pankow-Ortsteil zu. Diese Partei wurde in 21 Vorfällen erwähnt (2019: 5). Der Anstieg der Aktivitäten beim „III. Weg“ zeigt, dass sich das aktionsorientierte Spektrum der extremen Rechten dieser Gruppe angeschlossen hat.
Diffamierung politischer Bildung & Jugendbildung
Wenn auch nicht in der BVV, so wurden zumindest auf Landesebene 2020 Anfragen von Abgeordneten der AfD an den Berliner Senat gerichtet, die die Arbeit von Einrichtungen der politischen Bildung und Jugendbildung in Pankow diffamierten. Durch die Anfragen soll diesen die Kompetenz und das Vertrauen demokratiefördernd zu agieren, abgesprochen werden. Die Strategie hatte bisher keinen Erfolg. Vielmehr wurde die Legitimität von politischer Bildungsarbeit und Jugendbildung in der BVV sowie durch Erklärungen von Trägern gestärkt.
Fazit
Im einwohner*innenreichsten Ortsteil Prenzlauer Berg geschehen weiterhin die meisten Vorfälle. Die dichte Besiedelung, zentrale U- und S-Bahnhöfe sowie ein aktives Straßen- und Nachtleben, lässt viele Menschen in der Öffentlichkeit aufeinandertreffen. In diesem Punkt ähnelt der Ortsteil anderen Innenstadtregionen. Gleichzeitig nimmt der Ortsteil Pankow an Bedeutung für neonazistische und rechte Propaganda zu, was auf ein aktives rechtes Klientel schließen lässt. Am ehemaligen Aktionsschwerpunkt der rechten Szene in Buch gingen die Vorfälle stark zurück.