Jahresauswertung 2021 Register Neukölln
Register Neukölln: Auswertung 2021
Im November 2021 gab es einen Trägerwechsel der Registerstelle Neukölln von Amaro Foro an Yekmal e.V., ein kurdischer Elternverein mit Sitz in der Richardstr. 102, 12043 Berlin.
2021 zeichnen sich folgende drei Schwerpunkte und Tendenzen für Neukölln auf: weniger Angriffe, dafür deutlich mehr gemeldete Propaganda-Vorfälle sowie Bedrohungen/Beleidigungen im Bezirk.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es zu einer Steigerung der gemeldeten Vorfälle kam. 354 Vorfälle wurden bis Ende Dezember 2021 dokumentiert, während im gesamten Jahr 2020 insgesamt 236 Vorfälle aufgenommen wurden. Auffällig ist wie im Vorjahr, dass der Großteil der 354 Meldungen als Propaganda-Vorfälle aufgenommen wurde. Von den insgesamt 354 Vorfällen lassen sich 60% auf Propaganda zurückführen. Diese Botschaften bzw. rechte Propaganda werden oft an rassistische und antisemitische Inhalte gekoppelt. Mit weniger Alltagsbegegnungen boten sich auch weniger Gelegenheiten für alltäglichen Rassismus und Diskriminierung.
Zu Beginn und gegen Ende des Jahres 2021 war auffällig, dass die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ es über mehrere Wochen hinweg schaffte, sichtbar im öffentlichen Raum Propaganda zu verteilen (von 148 Propagandafällen lassen sich 79 Vorfälle auf den III. Weg zurückführen). Auch im Jahr 2021 gab es Meldungen über die Hauptverdächtigen der Neuköllner Angriffsserie sowie die Rufe nach einem Untersuchungsausschuss, welcher sich gegen Ende des Jahres formierte, um zu Beginn 2022 seine Arbeit endlich aufnehmen zu können. Die Brandstiftungen spielen seit 2018 eine große Rolle in Neukölln und werden als „Neukölln-Komplex“ bundesweit wahrgenommen.
Art der Vorfälle 2021
Auffällig ist eine Steigerung im Bereich der Propaganda-Meldungen (2020: 148; 2021: 214). Hier waren vor allem Rechte Selbstdarstellung und auch NS-Verharmlosung die dominierenden Motive rechter Aktivitäten. Der Großteil dieser Vorfälle ereignete sich in Nord-Neukölln sowie in Rudow. Ebenfalls auffällig war im Unterschied zum Vorjahr, dass nun noch mehr NS- bzw. Faschismus-Vergleiche mit Bezug zur aktuellen Pandemie gezogen wurden. Dies geschah sowohl in Form von spezifischen Aufklebern als auch mit deutlich sichtbaren Schmierereien und Flugblättern, welche in Wohnsiedlungen und Häusern verteilt wurden.
Die Zahl der Angriffe sank erneut. Waren es zwei Jahre zuvor noch 54 und im Jahr 2020 noch 35, so sind es nun 2021 30 dokumentierte Angriffe. Für 2021 gibt es eine Untererfassung bei Angriffen und Gewalttaten. In allen vorangegangenen Jahren wurden Daten über Gewalttaten aus dem Themenbereich Hasskriminalität aufgenommen. Für das Jahr 2021 wurden diese Daten aufgrund von Datenschutzbedenken nicht mehr vom Berliner LKA an zivilgesellschaftliche Stellen übermittelt. Aus diesem Grund gibt es in ganz Berlin trotz deutlich gestiegener Anzahl von polizeilichen Meldungen, weniger dokumentierte Gewaltvorfälle bei den Registerstellen. Auch die Zahl der LGBTIQ*-feindlichen Angriffe nahm ab.
Eine Verdopplung der Meldungen gab es allerdings bei Bedrohungen / Beleidigungen / Pöbelei (2020: 30; 2021: 62). Auch Veranstaltungen 2021: 16 wurden häufiger als im Jahr zuvor als Vorfälle aufgenommen (2020: 2). Hier trugen vor allem antisemitische Vorfälle im Mai auf Demonstrationen im Norden Neuköllns dazu bei, von denen Israel-bezogener Antisemitismus während des Gaza-Konflikts 2021 ausging.
In den übrigen Kategorien blieben die Meldungen in etwa auf gleichem Niveau.
Motive 2021
Antisemitische Vorfälle wurden häufiger gemeldet. Hier kam zusammen, dass sowohl rechte Akteur*innen sich oftmals antisemitischer Codes bedienten als auch die Vorfälle rund um den Israel/Palästina Konflikt und Demonstrationen in Nord-Neukölln auffällig waren.
Vorfälle, die sich gegen politische Gegner*innen richteten wurden ebenfalls häufiger dokumentiert (2020: 17; 2021: 34).
Rassismus löste 2021 als häufigstes Motiv, die rechte Selbstdarstellung ab. Noch im Vorjahr 2020 lag die Zahl bei 47 Vorfällen, welche 2021 auf 71 Fälle angestiegen sind. Rassismus ist und bleibt das inhaltlich dominierende Motiv. In mehr als jeden vierten dokumentierten Vorfall von 354 Fällen, hatten diese einen rassistischen Hintergrund. Es gibt einen Rückgang von LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen feststellen von 2020: 25 auf 2021: 17 Fälle.
Ortsteile 2021
Keine Überraschung ist, dass aus Nord-Neukölln die meisten Vorfälle dokumentiert wurden. Mit 52% ist jeder zweite Vorfall von 354 auf diesen Orteilsteil zurückzuführen. 2020 wurden hier 101 Vorfälle gemeldet, dieses Jahr waren es sogar 185. Von insgesamt 62 Beleidigungen/Bedrohungen/Pöbeleien fanden allein 47 in Nord-Neukölln statt. Mit Abstand wurden hier die meisten Propaganda-Vorfälle gemeldet (2021: 107). Besonders viel Propaganda wurde wie in den Jahren zuvor auch aus Rudow gemeldet. Rudow und Britz waren ebenfalls wie in den Vorjahren die Ortsteile mit den zweit und drittmeisten Meldungen. Das ist einerseits auf die Meldestruktur bzw. Beschaffenheit des Bezirks Neukölln zurückzuführen. Andererseits auch darauf, welche Bezirksteile extrem rechte Akteur*innen sich für ihre Aktionen aussuchen. So sind bestimmte Straßen in Rudow oder auch in der Gropiusstadt immer wieder Ziel von Flyer-Aktionen des III. Wegs.
Abschließend lässt sich beobachten, dass es in Neukölln trotz immer wiederkehrenden Lockdowns weiterhin zu vielen Bedrohungen und Beleidigungen gekommen ist. Auch die hohe Anzahl extrem rechter und antisemitische Propaganda im Jahr 2021 deutet darauf hin, dass trotz Corona eine weitere Verbreitung dieser demokratiefeindlichen Meinungen ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden haben.
Obwohl es 2021 in Berlin und damit auch in Neukölln eine Untererfassung durch die neue Datenschutzregelungen bei Angriffen und Gewalttaten gibt, weil diese nicht mehr durch das Berliner LKA an die Register weitergeleitet werden, gibt es gleichzeitig einen deutlichen Anstieg bei den polizeilich dokumentierten Gewaltvorfällen für das Jahr. Auch hier scheint es eine direkte Korrelation bei den angestiegenen Zahlen bei Bedrohungen/Beleidigungen zu geben.
Der hohe Anstieg und deren Registrierung von Vorfällen 2021 lassen sich auf verschiedene Aspekte zurückführen. Zum einen kann gesagt werden, dass die breitere Vernetzung des Registers in Neukölln weitere Wirkung zeigt sowie die niedrigschwelligen Registrierungsmöglichkeiten durch soziale Medien wie Signal, Twitter und die aktualisierte Webseite des Registers weiter zu beiträgt, Diskriminierung noch mehr als in 2020 zu melden. Gleichzeitig ist es noch ein langer Weg, die zahlreichen Diskriminierungsvorfälle eines Bezirkes wie Neukölln – in all seiner Vielfalt – noch stärker zu erfassen, um einen realistischeren Einblick in den Alltag diskriminierter Gruppen wie Menschen mit Behinderung, LGBTI*Q-Menschen, Sinti*zze und Rom*nja, schwarzen Menschen sowie gegenüber Menschen jüdischen Glaubens insgesamt zu ermöglichen.