Gegendarstellung zu Vorwürfen gegen die Berliner Register
Am 30.8.2023 wurde in der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel veröffentlicht, der die Arbeit der Berliner Register falsch darstellt. Durch diesen Artikel wurde eine Welle der Empörung erzeugt, die sich durch beleidigende Mails, diffamierende Kommentare, Falschmeldungen auf unserem Online-Formular und aufgebrachte Anrufe ausdrückt. Der Grundtenor lautet, dass die Berliner Register zum Denunzieren aufrufen würden, die Meinungsfreiheit einschränken wollten und alle Menschen, die politisch rechts stehen, verfolgen würden. Dabei wird die Dokumentationsarbeit mit der Stasi (DDR) und der Gestapo (Nationalsozialismus) gleichgesetzt.
Da durch den Shitstorm unsere Kommunikationskanäle eingeschränkt sind, bitten wir alle Betroffenen, die sich aktuell mit Meldungen an uns wenden, um etwas Geduld.
Solche Falschinformationen führen zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Um allen Leser*innen die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild machen zu können, erläutern wir hier nochmals unsere Arbeit entlang der häufigsten Vorwürfe:
Vorwurf: „Ihr fördert Denunziantentum. Ihr führt Namens- und Adresslisten.“
Die Berliner Register sammeln keine Daten über Dritte. Außerdem werden alle Vorfälle anonymisiert.
Die Register erhalten in 99% der Vorfälle keine Informationen über Dritte, d.h. weder Adressen noch Namen vermeintlicher Täter*innen sind bekannt. Da die Register Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz sehr ernst nehmen, werden alle Vorfälle anonymisiert dargestellt. D.h. dass Betroffene und Täter*innen für die Leser*innen der Chronikeinträge nicht erkennbar sind. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die beispielsweise ein hohes politisches Amt bekleiden, werden dann mit Namen genannt, wenn der Name zum Verständnis des Vorfalls beiträgt. Es geht in der Dokumentation der Registerstellen nicht um die Denunziation politischer missliebiger Meinungen, sondern darum zu beschreiben, welche Formen von Ausgrenzung und Abwertung Menschen im Alltag erleben.
Vorwurf: „Ihr wollt Meinungen verbieten.“
Die Berliner Register machen die Perspektiven von Betroffenen sichtbar.
Jeder Mensch macht in Berlin unterschiedliche Erfahrungen. Es gibt viele Menschen, denen nie etwas passiert, was die Berliner Register dokumentieren würden. Sie gehören nicht zu den Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind. Es gibt im Gegensatz dazu aber auch Menschen, die öfter von Vorfällen betroffen sind. Rassismus ist beispielsweise Alltag für Menschen, die Schwarz sind. Ihnen wird beim Einkaufen im Supermarkt unterstellt, dass sie etwas gestohlen haben, im Drogeriemarkt akzeptiert man ihre Kartenzahlung nicht, weil es heißt, Schwarze hätten keine Geldkarte. Wenn Sie mit ihrem Kind die Straße überqueren, kurbeln Menschen die Autoscheibe herunter und schreien sie an, dass sie in „ihre Heimat“ zurückgehen sollen und wenn sie zum Bürgeramt gehen, um etwas zu erledigen, werden sie vor der Tür von einer Passantin bespuckt. Wer nicht von Rassismus betroffen ist, kann nicht nachempfinden, wie sich so ein Alltag anfühlt. Rassismus wurde hier als Beispiel gewählt, weil die Gruppe der Betroffenen sehr groß ist. Auch in den anderen Phänomenbereichen erfahren die Betroffenen, Einschränkungen in ihrem Alltag, dass Vorurteile über sie verbreitet werden und dass es Menschen gibt, die ihnen den Tod wünschen, auch wenn sie sie nicht kennen.
Die Chronikeinträge und die Analyse der erfassten Vorfälle sind für die Öffentlichkeit transparent einsehbar. In den Publikationen, Veranstaltungen und jährlichen Auswertungen werden Bewertungen erläutert und diskutiert. Viele Menschen, Einrichtungen und Projekte nutzen die Internetseite der Berliner Register und beziehen diese in ihre Arbeit sowie Meinungsbildung mit ein. Es gibt Meinungsfreiheit in Deutschland und sie ist unschätzbar wertvoll. Die Freiheit der Meinung heißt nicht Freiheit von Widerspruch.
Vorwurf: „Da kann ja jeder kommen und irgendwas behaupten.“
Die Berliner Register verifizieren alle Vorfälle.
Meldungen werden auf unterschiedlichen Wegen an die Registerstellen geschickt, häufig über Einzelpersonen, die den Registerstellen bekannt sind oder über das Meldeformular auf der Internetseite.
Das jeweils zuständige bezirkliche Register prüft, ob die Meldung wahr ist. Dazu werden zum Beispiel
a) die Quelle der Meldung geprüft
b) die Glaubwürdigkeit der Darstellung des Vorfalls
c) es werden Nachfragen zum Vorfall gestellt
d) und es wird nach weiteren Belegen gefragt, z.B. dem Foto eines Aufklebers.
Ist ein Vorfall geprüft, wird er in der Datenbank erfasst und veröffentlicht.
Meldet sich eine Person, die die Darstellung eines Vorfalls anzweifelt, wird erneut geprüft, woher der Vorfall stammte und welche Belege für die Darstellung in der Chronik der Registerstellen vorliegen. Ist der Vorgang nicht mehr rekonstruierbar, wird der Vorfall in der Chronik angepasst oder gelöscht.
Die Statistik der Polizei zu politisch motivierter Kriminalität funktioniert genauso. Sobald eine Person eine Straftat anzeigt, wird diese in der Statistik der Polizei erfasst. Bei der Erfassung ist unklar, ob die Darstellung der anzeigenden Person der Wahrheit entspricht, es sich um einen subjektiven Eindruck handelt oder sogar eine bewusste Falschanzeige. Trotzdem werden die Anzeigen nach Straftatbeständen erfasst und in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität veröffentlicht. Diese Polizeistatistik ist eine Ausgangsstatistik (Achtung korrigiert). Sie enthält Ungenauigkeiten, aber durch die Masse an Fällen, können Aussagen über die Entwicklung einzelner Kriminalitätsbereiche getroffen werden.
Ähnlich ist es bei den Berliner Registern. Es melden sich Betroffene, die ihre Version eines Vorfalls schildern. Die Version von Zeug*innen oder Täter*innen sind meist nicht bekannt. Die Registerstellen beginnen nicht mit Ermittlungen. Sie sind nicht die Polizei. Wer möchte, dass jemand für eine Tat zur Rechenschaft gezogen wird, muss eine Anzeige bei der Polizei erstatten oder sich an eine Beratungsstelle wenden. Die Berliner Register dokumentieren lediglich Vorfälle.
Vorwurf: „Bei den Zahlen wird getrickst. Vorfälle werden mehrfach gezählt.“
Jeder Vorfall wird nur einmalig erfasst.
Die Registerstellen nehmen jeden Vorfall nur einmal auf. Um zu erkennen, ob ein Vorfall bereits in der Datenbank erfasst wurde, werden Ort und Datum des Vorfalls geprüft. Gibt es den Vorfall schon, wird er nicht doppelt erfasst. Dennoch gibt es einige Vorfallsarten bei denen es wahrscheinlicher ist, dass sie mehrfach am gleichen Ort und am gleichen Tag passieren, z.B. antisemitische Massen-E-Mails an jüdische Einrichtungen. Das kann sich in der Chronik dann so lesen, als wäre ein Vorfall mehrfach erfasst worden, es sind aber unterschiedliche Vorfälle, in denen unterschiedliche Personen unterschiedliche Inhalte an unterschiedliche jüdische Einrichtungen versenden, und alle tun es am gleichen Tag.
Jeder aufgenommene Vorfall wird einem Datum, einer Art des Vorfalls, einer inhaltlichen Zuordnung und einem Berliner Ortsteil zugeordnet. Anhand dieser Merkmale ist später eine Auswertung möglich, die sich entweder auf Ortsteile, auf Phänomenbereiche oder Vorfallsarten bezieht.
Vorwurf: „Das, was ihr macht, ist illegal.“
Die Berliner Register arbeiten auf gesetzlicher Grundlage.
Die Berliner Register arbeiten auf Basis verschiedener gesetzlicher Grundlagen sowie wissenschaftlicher und journalistischer Standards. Sie wahren die Persönlichkeitsrechte aller, die in Vorfällen erwähnt werden. Das bedeutet, dass die Personen, die vermeintlich einen Vorfall verursacht oder erlebt haben, nicht so beschrieben werden, dass andere sie erkennen können. So wird zum Beispiel geschrieben: „In einem Supermarkt in der xy-Straße rempelte ein Mann einen anderen mit den Worten …. an.“, „In einer Grundschule in Spandau wurde ein Kind rassistisch gemobbt.“, „An einem Café in der Nähe des Görlitzer Parks beschimpfte eine vorbeigehende Person dort Sitzende mit den Worten …“. Die Berliner Register arbeiten auf Grundlage der DSGVO und speichern personenbezogene Daten wie E-Mail-Adressen und Telefonnummern nur für den Zweck, einen Vorfall zu verifizieren. Ist ein Vorfall veröffentlicht, werden E-Mails gelöscht.
Die Berliner Registerstellen bewegen sich im Rahmen der Meinungsfreiheit, wenn sie Aussagen und Publikationen z.B. als rassistisch, antisemitisch oder transfeindlich interpretieren und deshalb als Vorfall aufnehmen.
Vorwurf: „Ihr nehmt Sachen auf, die nicht verboten sind.“
Die Berliner Register erfassen strafbare und nicht strafbare Vorfälle.
Die dokumentierten Vorfälle werden nach Arten von Vorfällen sortiert. Es gibt die Kategorien Propaganda, Veranstaltungen, Beleidigungen/Bedrohungen/Pöbeleien, Angriffe, Sachbeschädigungen, Strukturelle Benachteiligung und Sonstiges. Ein Aufkleber wird anders bewertet als eine Beleidigung oder ein Angriff.
Die Berliner Register wollen herausfinden, warum und in welchen Bereichen es zu Gewalttaten und Diskriminierung kommt, um sie langfristig zu verhindern. Dafür werden auch Aufkleber, gesprühte Parolen, Flugblätter oder Demonstrationen dokumentiert, die nicht strafbar sind. Dort können antisemitische, rassistische, LGBTIQ*-feindliche und andere ausgrenzende Positionen vertreten werden, die dazu führen, dass Menschen auf der Straße angefeindet oder attackiert werden. Anhand der Propagandavorfälle kann ausgewertet werden, wie sich menschenverachtende Feindbilder über die Jahre verändern.
Vorwurf: „Ihr seid nicht neutral. Ihr erfasst nur rechtsextreme Vorfälle, keine linksextremen oder Straftaten von Ausländern.“
Die Berliner Register erfassen Vorfälle, deren Ziel es ist Minderheiten auszugrenzen und abzuwerten.
Es wird häufig die Frage an die Registerstellen herangetragen, warum Vorfälle von der extremen Rechten erfasst würden, aber keine linksextremen. Der Hintergrund ist folgender: Die inhaltlichen Kategorien, denen die Vorfälle zugeordnet werden, bauen auf Erkenntnissen der Rechtsextremismusforschung und dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auf (s.h. Wilhelm Heitmeyer, Andreas Zick, Beate Küpper).
In diesen Forschungsfeldern werden Einstellungen untersucht. Nicht alle Dimensionen, die in diesen Einstellungsforschungen abgefragt werden, werden bei den Registern erfasst, sondern nur die, die sich gegen Minderheiten richten. Zu diesen Kategorien gehören Rassismus, Antisemitismus, LGBTIQ*-Feindlichkeit, Feindschaft gegen Obdachlose, Feindschaft gegen Menschen mit Behinderung, Verharmlosung des Nationalsozialismus und Antifeminismus. Zwei Kategorien wurden durch die Register ergänzt, weil sie zu den Aktionsfeldern von Neonazis zählten. Das sind Angriffe auf politische Gegner*innen und die rechte Selbstdarstellung. In letzterer Kategorie werden Vorfälle erfasst, die eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen sind und nur dem Selbstzweck dienen, das Organisationslogo oder die Internetseite zu bewerben. Vorfälle der extrem rechten Kleinstpartei „Der III. Weg“ werden pauschal erfasst. Flugblätter oder Aufkleber der AfD werden nicht pauschal aufgenommen, sondern auf ihren Inhalt geprüft und nur dann aufgenommen, wenn sie einer der anderen inhaltlichen Kategorien zuzuordnen sind.
Wenn Linke oder Menschen mit Migrationsgeschichte antisemitische oder rassistische Vorfälle verursachen, dann werden diese Vorfälle als antisemitische Vorfälle erfasst. Insofern wird nicht „rechts“ oder „links“ erfasst, sondern Vorfälle aus Phänomenbereichen, die traditionell Teil extrem rechter Weltbilder und Einstellungsmuster sind.
Wir sind nicht allein. Als Reaktion auf den Shitstorm im Herbst 2023 wurde diese Erklärung veröffentlicht: https://berliner-register.de/artikel/mehr-als-200-soziale-organisationen-und-personen-aus-berlin-unterzeichnen-erklarung-zur-unterstutzung-der-berliner-registerstellen-524/