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11.10.2022 Register Reinickendorf

Berlinweiter Jahresbericht 2021 erschienen


Das Bild zeigt das Titelbild des Jahresbericht 2021 der Berliner Register

Das ist der Artikel zum Bezirk Reinickendorf aus dem Jahresbericht:

Der Bezirk

Der Bezirk Reinickendorf verfügt über eine große Fläche, mit 270.000 aber über wenig Einwohner*innen. Die 11 Ortsteile erstrecken sich vom Ortsteil Reinickendorf an der Grenze zum Wedding bis nach Frohnau am nördlichen Berliner Stadtrand. Im Bezirk liegen neben dem Tegeler See und Forst auch das Naturschutzgebiet Tegeler Fließ. Der Bezirk ist durch ein großes soziales Gefälle geprägt. In Teilen des Ortsteils Reinickendorf und im südlichen Tegel sowie in den Großsiedlungen (Märkischen Viertel, Rollbergesiedlung in Waidmannslust) liegen die Anteile von Kinderarmut und Arbeitslosigkeit sehr hoch. Die Ortsteile an der Havel im Westen (Konradshöhe, Heiligensee) und im Norden (Frohnau, Hermsdorf, Lübars) sind hingegen stark von Einfamilienhaussiedlungen geprägt und zählen zu den wohlhabendsten Gegenden Berlins. Im Mittelfeld der sozialen Bandbreite bewegen sich die Ortsteile Wittenau, Borsigwalde und Teile von Tegel und Reinickendorf. Seit 2021 wird der Bezirk von einer Zählgemeinschaft aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP regiert.

Eine Karte der Ortsteile von Reinickendorf wird angezeigt. Auf den Ortsteilen sind Balken zu sehen, die die Anzahl der Vorfälle angeben. Die Ortsteile Tegel und Reinickendorf haben jeweils 25 Vorfälle, Wittenau 15, Frohnau 7 und alle anderen Ortsteile haben mit 3 bis 0 Vorfälle.

Ergebnisse für das Jahr 2021

Die Gesamtzahl der diskriminierenden Vorfälle, die im Jahr 2021 vom Register Reinickendorf dokumentiert wurden, lag mit 97 auf dem Niveau des Vorjahres (2020: 98). Allerdings wurden kaum Online-Vorfälle registriert (2021: 2; 2020: 20), weil u.a. weniger diskriminierende Äußerungen in Facebook-Gruppen mit Lokalbezug sowie weniger Online-Bedrohungen gegen einzelne Politiker*innen gemeldet wurden.

Wenn man die Propaganda, die sich online ereigneten, „beiseitelässt“, ergibt sich daher ein deutlicher Anstieg der Vorfälle, die sich auf Straßen, in Schulen und Geschäften ereigneten (2021: 95; 2020: 78). Dieser Anstieg geht vor allem auf die gestiegene Anzahl von Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien sowie von vermehrter Propaganda im öffentlichen Raum in Form von Aufklebern und Schmierereien zurück.

In Reinickendorf gibt es keine sichtbare aktive extrem rechte Szene. Das ist einer der Gründe, weshalb in Reinickendorf weniger Vorfälle erfasst wurden als in allen anderen Bezirken. Während in anderen Bezirken Aktivist*innen der extremen Rechten fast täglich Hakenkreuze sprühten und rassistische Aufkleber anbrachten, lag der Anteil der Propagandafälle in Reinickendorf unter dem Berliner Durchschnitt (45 % Reinickendorf, 61 % Berlin). Dies wirkt sich auch auf den Anteil, der Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien aus, der mit 30 % aller Vorfälle im Bezirk vergleichsweise hoch lag.

Was die Motive betrifft dominieren in Reinickendorf stärker Rassismus (39 % Reinickendorf, 29 % Berlin) und LGBTIQ*-Feindlichkeit (11 % Reinickendorf, 4 % Berlin), während antisemitische Vorfälle weniger stark präsent sind (9 % Reinickendorf, 22 % Berlin).

Körperliche Angriffe und verbale Attacken

Die Zahl der dokumentierten Angriffe hat sich im Jahr 2021 mehr als halbiert (2021: 8; 2020: 20), was nicht mit einer real gesunkenen Zahl, sondern mit einem fehlenden Datenabgleich zusammenhängt (siehe Kasten S. 6). Die Zahl der Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien (kurz BBP), also aggressiver verbaler Akte, die häufig der Gewalt vorausgehen, stieg im gleichen Zeitraum hingegen deutlich an (2021: 29; 2020: 19) und übertraf auch die bisherige Höchstzahl aus dem Jahr 2019 (25). Die meisten Angriffe (5) und verbalen Handlungen (18) waren rassistisch motiviert. Auf den nächsten Rängen folgen Angriffe gegen politische Gegner*innen (2 Angriffe bzw. 1 BBP) und LGBTIQ*-feindliche Taten (1 Angriff bzw. 5 BBP). In den Themenfeldern Antisemitismus (4) und Behindertenfeindlichkeit (1) kam es nur zu verbalen Attacken.

Wie in den Jahren zuvor waren die Täter*innen fast ausschließlich Einzelpersonen, selten auch Zweiergruppen. Die Angriffe gingen fast ausschließlich von Männern aus und auch bei den Beleidigungen und Pöbeleien waren sie doppelt so häufig vertreten wie Frauen. Bei den Betroffenen überwogen Männer nur leicht gegenüber Frauen und nichtbinären Personen. Die Täter*innen waren zum Teil Personen, die über 60, vereinzelt sogar über 70 Jahre alt waren, während die Betroffenen, soweit ihr Alter bekannt ist, vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene waren. In zwei Fällen waren Kinder anwesend, als ihre Eltern von anderen Erwachsenen beleidigt wurden.

Nur in seltenen Ausnahmen kannten sich die Beteiligten. Die überwiegende Zahl dieser Fälle fand hingegen im öffentlichen Raum statt. Täter*innen und Betroffene trafen sich hier zufällig. Am häufigsten fanden die Konfrontationen im ÖPNV (9 Vorfälle), vor allem in U-Bahnwagen (5 Vorfälle), und auf Gehwegen bzw. öffentlichen Plätzen (7 Vorfälle) statt. Aber auch in der Gastronomie (3 Vorfälle) oder beim Einkaufen im Supermarkt waren Menschen in ihrem Alltag diskriminierenden Äußerungen ausgesetzt.

Häufig gingen der Gewalt bzw. den verbalen Anfeindungen Konflikte um angemessenes Verhalten im öffentlichen Raum voraus. Mehrfach eskalierte die Situation nach folgendem Muster: Die Täter*innen verstießen gegen Normen, indem sie beispielsweise in der U-Bahn urinierten oder sich nicht an Corona-Maßnahmen hielten und wurden von Passant*innen, Fahrgästen oder Mitarbeiter*innen gebeten, ihr Verhalten zu ändern. Daraufhin wurden die Angesprochenen aggressiv und beschimpften oder bedrohten die Umstehenden. Besonders Angehörige von Minderheiten wie Schwarze, People of Color oder LGBTIQ*-Personen sind in solchen Situationen gefährdet, da sich die Aggression der Täter*innen auch dann gegen sie wendet, wenn sie gar nicht Teil des ursprünglichen Konflikts waren.

Auffällig ist, wie stark der gesellschaftliche Streit um angemessene Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verschiedene diskriminierende Vorfälle prägte. In fünf Fällen waren Konflikte um Abstand und fehlende Masken der Auslöser für beleidigende Äußerungen. In zwei Fällen verknüpften Personen ihre öffentliche Kritik an Maßnahmen mit rassistischen bzw. NS-verharmlosenden Bemerkungen. Ein Restaurant bot nur noch geschlossene Veranstaltungen an, um die 2G-Regeln zu umgehen. In einer Begründung für diesen Schritt, die den Speisekarten beigelegt wurde, verbreiteten die Betreiber*innen Holocaust-relativierende Inhalte. In einem anderen Fall verwendete ein Imbiss-Mitarbeiter Hinweise auf Corona-Schutzmaßnahmen instrumentell, um seine diskriminierende Behandlung eines Schwarzen Pärchens zu bekräftigen.

Bündnis 90/Die Grünen als neuer politischer Gegner der extremen Rechten

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen entwickelt sich zu einem neuen Feindbild der extremen Rechten, weil sie für eine Reihe aktueller Themenfelder eine Projektionsfläche bietet: Antifeminismus, Trans- und Queerfeindlichkeit („Antigenderismus“), Hass auf Migrant*innen und auf Politiker*innen, die sich für Migration und Migrant*innen einsetzen. Neuerdings mündet die Leugnung des von Menschen verursachten Klimawandels im Verschwörungsmythos „Great Reset“. Demnach würden geheime Eliten eine Öko-Diktatur errichten. Im Bezirk richteten sich im Jahr 2021 etwa die Hälfte der Vorfälle, die sich gegen politische Gegner*innen richteten (2021: 13, 2020: 7), gegen die Grünen. Während des Wahlkampfs auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene im Sommer des Jahres wurden in der Nähe des Kreisverband Reinickendorf in Tegel Anti-Grüne Aufkleber verklebt und Wahlplakate zerstört. In der Berliner Straße in Tegel wurde ein großes Plakat angebracht, das zunächst wie ein Wahlplakat von Bündnis 90/Die Grünen wirkte, die Partei aber mit dem Slogan „Verbote / Bevormundung / Steuererhöhung“ im Sinne des Negative Campaigning, eine Art des „schmutzigen“ Wahlkampfes, verunglimpfen sollte.

Am 9. August wurden zwei Büros der Partei Bündnis 90/Die Grünen am Eichborndamm in Wittenau und in der Brunowstraße in Tegel attackiert. Unbekannte rissen Wahlplakate der Grünen ab und zündeten sie an. Sie beschmierten Fensterscheiben, Tür, Gehweg und abgerissene Plakate mit schwarzer Farbe. Parolen wie „Mörder von Berlin raus“ und „Ihr tötet Berlin“, das Durchstreichen einer Maske auf einem Plakat sowie frauenfeindliche Beleidigungen deuten darauf hin, dass die Täter*innen aus dem Spektrum rechter Corona-Leugner*innen stammen. Zwei Monate nach der Wahl gingen die Attacken gegen die Büros weiter. Am 20. November schlugen Unbekannte am Eichborndamm in Wittenau eine Scheibe des Büros einer jungen Grünen-Politikerin, die neu ins Abgeordnetenhaus gewählt worden war, ein und beschmierten den Eingang. In der Nacht zum 23. November verübten Unbekannte schließlich einen Brandanschlag auf dasselbe Büro. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass keine Menschen in dem Haus verletzt wurden.

Diese beiden Schlaglichter zeigen, wie schnell sich Aktionsformen radikalisieren können. Waren zu Beginn der Pandemie Demonstrationen und Aufkleber typische Formen, um Protest gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auszudrücken, wurden 2021 in Reinickendorf Angriffe, Beleidigungen, Sachbeschädigungen und sogar ein Brandanschlag in diesem Kontext verübt. Umso wichtiger ist es, gefährliche Tendenzen wie das Herausbilden neuer Feindbilder zu beobachten und Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Eine Herausforderung in Reinickendorf bleibt weiterhin, dass die Netzwerke, die Vorfälle melden könnten, nicht so stark sind wie in anderen Bezirken. Daher ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer hier noch deutlich höher liegt als anderswo.

Den ganzen Bericht gibt es online und als Druckversion bei allen Registerstellen.

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