Berlinwahl 2023: ein Blick auf die rechten Parteien
Die Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin wurden am 12. Februar 2023 wiederholt. Das ist ein Grund für die Berliner Register die Ergebnisse der Wahl mit dem abzugleichen, was über die Bezirke durch die Dokumentation von Vorfällen bekannt ist.
Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 2021 um 12 Prozentpunkte auf 63 Prozent. Im äußerst rechten Lager gab es wenige Verschiebungen. Die Alternative für Deutschland (AfD) erhielt etwa 8000 Stimmen weniger als 2021. Wegen der niedrigeren Wahlbeteiligung kam sie auf 9 Prozent der Stimmen, das ist 1 Prozentpunkt mehr als 2021. Im Vergleich zu 2016 verlor sie rund 5 Prozentpunkte, bekam rund 95.000 Stimmen weniger. Doch die AfD ist mittlerweile die einzige Partei des extrem rechten Spektrums, die nennenswert Wählerstimmen erhält.
Der Wahlkampf war sehr kurz. Dies zeigte sich auch in den Aktivitäten der extremen Rechten zur Wahlkampfzeit. Zur Berlinwahl im Jahr 2016 wurden insgesamt 157 Wahlkampf-bezogene Vorfälle gemeldet und 2021 bei der gleichzeitigen Berlin- und Bundestagswahl 110 Stück. Zur Wiederholungswahl 2023 dokumentierten die Berliner Register bislang nur 30 Vorfälle. Wahlkampagnen wurden diesmal kurzfristig und mit kleinen Finanzbudgets geplant. Das hatte zur Folge, dass weniger Veranstaltungen stattfanden oder Plakate beschädigt werden konnten.
Welche Vorfälle im Zusammenhang mit einem Wahlkampf erfasst werden, zeigen diese Beispiel-Vorfälle der Berliner Register:
- 11.02.2023 Treptow-Köpenick
Die NPD führte vor dem Allendecenter in Köpenick einen Wahlkampfstand durch. - 01.02.2023 Neukölln
In der Gropiusstadt wurden rechtsextreme Flyer von der Partei AfD mit rassistischen Parolen, z.B.: „ Keine Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ gesichtet und gemeldet. - 17.01.2023 Steglitz-Zehlendorf
Auf der Thielallee, Höhe Triestpark in Dahlem wurden mehrere Wahlplakate beschmiert. Auf dem FDP-Wahlplakat mit einem Bild des Vorsitzenden des Bezirksverbands wurde mehrfach das Wort „ Nazi“ geschrieben. Dieser Vergleich verharmloste die NS-Zeit. Auch SPD-Plakate war von Schmierereien betroffen. - 06.01.2023 Friedrichshain-Kreuzberg
Am Büro des Kreisverbands von Bündnis'90 / Die Grünen in der Dresdener Straße in Kreuzberg wurde die Schmiererei „ green nazi scum“ angebracht. - 17.12.2022 Charlottenburg-Wilmersdorf
In der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg veranstaltete die AfD Charlottenburg-Wilmersdorf einen Infostand. Dort wurde die AfD-Zeitung „Blauer Bote“ in der Herbstausgabe 2022 verteilt. Darin wurde durch rassistische Codes ein Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität hergestellt und somit ein Bedrohungsszenario aufgebaut.
Hochburgen der AfD
Die Alternative für Deutschland erreichte zwei Direktmandate in den Wahlkreisen Marzahn-Hellersdorf 1 und 3 (Marzahn-Nord und Hellersdorf-Ost). Mehr als 30 Prozent bekam die Partei in Wahllokalen in den Wahlkreisen Hellersdorf-Ost, Marzahn-Mitte, Marzahn-Nord, Neu-Hohenschönhausen-Malchow, Alt-Hohenschönhausen, Pankow-Blankenfelde, Pankow-Buch, Treptow-Altglienicke, Köpenick-Friedrichshagen-Rahnsdorf. Sie alle sind Wahlkreise am Ostberliner Stadtrand. Dort liegt die Wahlbeteiligung bei durchschnittlich 29 Prozent, was sehr niedrig ist im Berliner Vergleich mit 63 Prozent. In diesen Wahlbezirken konnte die AfD zahlenmäßig viele Stimmen auf sich vereinigen, meist über hundert Stück. Das bedeutet, dass es die Partei geschafft hat, das eigene Potenzial an Wähler*innen zu mobilisieren, um Gegensatz zu anderen Parteien. Es fällt auf, dass in den heutigen Wahlhochburgen der AfD früher bereits die NPD ihre besten Ergebnisse erzielte. Von der Anzahl der Stimmen übertrifft die AfD jedoch die Mobilisierungserfolge der NPD.
Die Hochburgen der AfD liegen am östlichen Stadtrand Berlins. Der genaue Blick in alle Berliner Bezirke zeigt: In jedem Berliner Bezirk ist die AfD vergleichsweise in strukturschwachen Randgebieten erfolgreich. Beispiele sind: das Schorfheideviertel in Marzahn (40 Prozent für die AfD), südlich des Märkischen Viertels in Reinickendorf (27 Prozent für die AfD) und die südliche Gropiusstadt in Neukölln (22 Prozent für die AfD).
Zu den Wahlergebnissen in Lichtenberg gibt es eine genaue Bezirks-Wahlauswertung.
Dort leben armutsbetroffene Milieus. Wegen günstigerer Mieten werden Menschen aus innerstädtischen Quartieren an den Stadtrand verdrängt. Die nächste U- und S-Bahn-Station ist weit weg, ebenso andere nützliche Infrastruktur. Jugendfreizeit-Einrichtungen sind rar, es gibt kaum zivilgesellschaftliche Netzwerke. Im Vergleich mit anderen Bewohner*innen der Stadt sind die Quartiere abgehängt. Das führt zu Enttäuschung und Ablehnung den regierenden Parteien und ihren Programmen gegenüber. Die großen demokratischen Parteien legten ihre Wahlkampf-Schwerpunkte in die Ortskerne und waren in den Randregionen weniger präsent.
Menschen, die keine extrem rechten Einstellungen besitzen und mit der aktuellen Politik unzufrieden waren, sind nicht wählen gegangen. Nur für diejenigen mit rechtem Weltbild ist gab es eine wählbare Alternative zur Politik der Rot-Grün-Roten-Koalition. Den Regionen mit Wahlerfolgen stehen die größten Misserfolge der AfD gegenüber: Sie alle liegen in urbanen, gut angebundenen oder wohlhabenden Gegenden. Am zentralen Oranienplatz in Kreuzberg erhielt die AfD in einem Wahllokal gar keine Stimme. Im Kungerkiez im Norden Treptow-Köpenicks holte sie etwa 3 Prozent der Stimmen.
Der Aufbau von lebenswerten Kiezen sollte darf sich nicht auf innerstädtische Regionen beziehen. Teilhabe, Infrastruktur, eine lebendige Zivilgesellschaft und Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen wären geeignete Instrumente, um den Wahlerfolgen der extremen Rechten in diesen Gegenden entgegenzuwirken. Der Widerspruch gegen rassistische, sozialchauvinistische und LGBTIQ*-feindliche Positionen ist wichtig und muss durch die aktive Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels in den “abgehängten” Gebieten begleitet werden.
Ausbleibender Erfolg für rechte Splitterparteien in Berlin
Dass viel Aktivität nicht gegen unbeliebte Inhalte hilft, zeigen die Parteien Die Basis und Team Todenhöfer.
Die Corona-skeptische, verschwörungsideologische und rechtsoffene Partei Die Basis erreichte 0,6 Prozent der Stimmen. Mehr als zehn Stimmen je Wahllokal erreichte sie ausschließlich in Prenzlauer Berg. Am schlechtesten schnitt Die Basis in Neukölln ab (0,4 Prozent). Dass die Partei in ganz Berlin plakatierte, half ihr nicht dabei, Wähler*innen zu überzeugen.
Die ultrakonservative Ein-Mann-Partei Team Todenhöfer erreichte 0,4 Prozent der Stimmen. Im Wahlkampf fielen sie durch eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor am 27. Januar, dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocausts auf. Auf der Kundgebung wurden Vergleiche zwischen der Politik Israels und der Shoah gezogen. Auch Team Todenhöfer plakatierte berlinweit.
Die neonazistische NPD ist aktuell als wählbare Partei erledigt. Sie erreichte in Berlin insgesamt 0,1 Prozent der Zweitstimmen. Selbst in Marzahn-Hellersdorf reichte es bloß für 0,4 Prozent. Mehr als 5 Stimmen in einem Wahllokal erreichte sie in Marzahn-Ahrensfelde, Hellersdorf-Ost, Pankow-Buch, Köpenick-Allendeviertel und der Köpenicker Altstadt. Im Allendeviertel erreichte sie mit 9 Stimmen und 2,4 Prozent ihr bestes Ergebnis – auch hier unter ferner liefen. Dort hatte die NPD mehrfach Wahlkampfstände organisiert. In drei Viertel aller Berliner Wahllokale erhielt die NPD keine einzige Stimme.
Vier rechte Kleinstparteien erlangten rund 0,0 Prozent der Stimmen: Die ultrakonservativen Liberal-Konservativen Reformer erreichten 476 Stimmen. Ihr Versuch eine Partei zwischen AfD und CDU zu positionieren ist gescheitert. Die klimaskeptische Partei BüSo („Bürgerbündnis Solidarität“) wird wegen ihrer Entstehungsgeschichte und Positionen, die antisemitisch interpretiert werden können, der extremen Rechten zugeordnet und als sektenähnlich beschrieben. Sie erreichte 407 Stimmen. Die nationalistische und rechtspopulistische Partei Die Republikaner hatte 1989 noch im West-Berliner Abgeordnetenhaus und bis 1995 in zwanzig Berliner Bezirksverordnetenversammlungen gesessen. Bei der Berlinwahl 2023 traten sie nur noch in Reinickendorf an und erhielten 52 Stimmen. Die ultrakonservative Partei Deutsche Konservative kam auf nur 15 Stimmen und das berlinweit.
Neonazistische Aktivitäten zur Zeit des Berliner Wahlkampfs
Die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg trat wie schon im Jahr 2021 nicht zur Berlinwahl an. Sie nutzte die Wahlkampfzeit trotz dessen für eine starke Präsenz. Die Berliner Register dokumentierten im Januar und Februar 2023 bislang 52 Vorfälle der Partei und ihrer Jugendgruppe Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ). Darunter waren Flyerverteilungen, geklebte Sticker und Graffitis.
Was stattdessen geschah
Die Wahlergebnisse für die extreme Rechte zeigen, dass die AfD in der Lage war, ihr Potenzial an Wähler*innen auszuschöpfen, aber nicht auszuweiten. Berlin bleibt trotz struktureller Probleme und Unzufriedenheit vieler Bewohner*innen mit der bestehenden Politik eine Großstadt und wählt dementsprechend demokratische Parteien, die gesellschaftlichen Wandel gestalten wollen und nicht verhindern.