Beitrag des Registers Neukölln zum Jahresbericht 2021 der Registerstellen
Der Bezirk
Neukölln hat fast 330.000 Bewohner*innen und zählt in dieser Hinsicht zu den größeren und dichter besiedelten Bezirken Berlins. Die einzelnen Bezirksteile unterscheiden sich jedoch stark voneinander, was sich auch an der Art und der Zahl der gemeldeten Vorfälle ablesen lässt. Im sehr viel weniger frequentierten Süden Neuköllns wird vor allem extrem rechte Propaganda gemeldet. In Nord-Neukölln sind es üblicherweise mehr Meldungen von Angriffen und Beleidigungen.
Seit mehreren Jahren ist Neukölln auch der Hauptschauplatz einer extrem rechten Angriffsserie – und aber auch vielen antirassistischen und antifaschistischen Protesten dagegen. Mit der Pandemie und den Lockdowns veränderte sich in allen Teilen Neuköllns sowohl das Leben als auch das Meldeverhalten von Vorfällen.
Das Register Neukölln im Jahr 2021
Im November 2021 gab es einen Trägerwechsel der Registerstelle Neukölln von Amaro Foro e.V. an Yekmal e.V., einen kurdischen Elternverein mit Sitz in der Richardstr. 102, 12043 Berlin.
2021 zeichneten sich folgende drei Schwerpunkte und Tendenzen für Neukölln ab: Weniger Angriffe, dafür deutlich mehr gemeldete Propaganda-Vorfälle sowie Bedrohungen/Beleidigungen/Pöbeleien im Bezirk.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es zu einer Steigerung von Vorfallsmeldungen kam. 354 Vorfälle wurden bis Ende Dezember 2021 dokumentiert, während im gesamten Jahr 2020 insgesamt 236 Vorfälle aufgenommen wurden. Auffällig ist wie im Vorjahr, dass der Großteil der 354 Meldungen Propaganda-Vorfälle waren (60%). Neukölln lag mit dem Anteil der Propaganda im Berliner Durchschnitt. Diese rechten Botschaften wurden oft an rassistische und antisemitische Inhalte gekoppelt. Durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Pandemie kam es im Alltag zu weniger Begegnungen. Dadurch boten sich auch weniger Gelegenheiten für alltäglichen Rassismus und Diskriminierung.
Zu Beginn und gegen Ende des Jahres 2021 war auffällig, dass die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ es über mehrere Wochen hinweg schaffte, sichtbar im öffentlichen Raum Propaganda zu verteilen (von 148 Propagandafällen lassen sich 79 Vorfälle auf den „III. Weg“ zurückführen). Auch im Jahr 2021 gab es Presse-Meldungen über die Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie sowie die Rufe nach einem Untersuchungsausschuss, welcher sich gegen Ende des Jahres formierte. Zu Beginn des Jahres 2022 nahm er seine Arbeit auf. Die Brandstiftungen spielen seit 2011 eine große Rolle in Neukölln und werden als „Neukölln-Komplex“ bundesweit wahrgenommen.
Art der Vorfälle 2021
Auffällig ist eine Steigerung im Bereich der Propaganda-Meldungen (2020: 148; 2021: 214). Hier waren vor allem Rechte Selbstdarstellung und auch NS-Verharmlosung die dominierenden Motive rechter Aktivitäten. Der Großteil dieser Vorfälle ereignete sich in Nord-Neukölln sowie in Rudow, wo seit vielen Jahren eine Hand voll Menschen in der rechten Szene aktiv ist. Ebenfalls auffällig war im Unterschied zum Vorjahr, dass nun noch mehr NS- bzw. Faschismus-Vergleiche mit Bezug zur aktuellen Pandemie gezogen wurden. Dies geschah sowohl in Form von spezifischen Aufklebern als auch mit deutlich sichtbaren Schmierereien und Flugblättern, welche in Wohnsiedlungen und -häusern, z.B. im Schillerkiez verteilt wurden.
Die Zahl der Angriffe sank erneut. Waren es zwei Jahre zuvor noch 54 und im Jahr 2020 noch 35, so wurden 2021 30 Angriffe dokumentiert. Für 2021 gibt es eine Untererfassung bei Angriffen und Gewalttaten (siehe Katen S. 6). Aus diesem Grund gibt es in ganz Berlin trotz deutlich gestiegener Anzahl von Register-Meldungen weniger dokumentierte Gewaltvorfälle.
Eine Verdopplung der Meldungen gab es allerdings bei Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien (2020: 30; 2021: 62). Auch Veranstaltungen 2021: 16 wurden häufiger als im Jahr zuvor als Vorfälle aufgenommen (2020: 2). Hier trugen vor allem antisemitische Vorfälle im Norden Neuköllns zum Anstieg bei. Während der Auseinandersetzungen im Gaza-Konflikt 2021 heizte sich in Berlin die Stimmung gegen Jüd*innen und Israelis auf, sodass es bei den Demonstrationen im Mai zu mehreren Vorfällen von israelbezogenem Antisemitismus kam.
In den übrigen Kategorien blieben die Meldungen in etwa auf gleichem Niveau.
Motive 2021
Antisemitische Vorfälle wurden häufiger gemeldet. Hier kam zusammen, dass sowohl rechte Akteur*innen und Corona-Leugner*innen sich oftmals antisemitischer Codes bedienten als auch die Vorfälle, die rund um den Israel-Palästina-Konflikt und Demonstrationen in Nord-Neukölln auffällig waren.
Vorfälle, die sich gegen politische Gegner*innen richteten wurden ebenfalls häufiger dokumentiert (2020: 17; 2021: 34).
Rassismus löste 2021 als häufigstes Motiv, die rechte Selbstdarstellung ab. Noch im Vorjahr 2020 lag die Zahl bei 47 Vorfällen, welche 2021 auf 71 Fälle angestiegen sind. Rassismus ist und bleibt das inhaltlich dominierende Motiv. In mehr als jedem vierten dokumentierten Vorfall von 354 Fällen, hatten diese einen rassistischen Hintergrund. So wurden beispielsweise zwei asiatisch gelesene Frauen im April in einer Konditorei in der Sonnenallee von einem Verkäufer rassistisch beleidigt. Aufgrund der Untererfassung von Gewalttaten gibt es einen Rückgang von LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen von 2020: 25 auf 2021: 17 Fälle.
Ortsteile 2021
Keine Überraschung ist, dass aus Nord-Neukölln die meisten Vorfälle dokumentiert wurden. Mit 52 Prozent ist jeder zweite Vorfall von 354 auf diesen Ortsteil zurückzuführen. 2020 wurden hier 101 Vorfälle gemeldet, dieses Jahr waren es sogar 185. Von insgesamt 62 Bedrohungen/ Beleidigungen/ Pöbeleien fanden allein 47 in Nord-Neukölln statt. Mit Abstand wurden hier die meisten Propaganda-Vorfälle gemeldet (2021: 107). Nord-Neukölln ist ein innerstädtischer Ortsteil mit vielen Menschen, Geschäften, Clubs und Kneipen. Neben den vielen Anwohner*innen zieht es auch Tourist*innen in Feierlaune in das Gebiet. Dadurch kommt es häufiger zu Vorfällen als in dünn besiedelten Ortsteilen und diese Vorfälle werden schneller wahrgenommen und an die Registerstelle gemeldet. Besonders viel Propaganda wurde wie in den Jahren zuvor auch aus Rudow gemeldet. Rudow und Britz waren ebenfalls wie in den Vorjahren die Ortsteile mit den zweit und drittmeisten Meldungen. Das ist einerseits auf die Zahl der Anlaufstellen und engagierten Menschen, die Vorfälle melden, und auf attraktive Orte mit viel Publikumsverkehr im Bezirk zurückzuführen, andererseits auch darauf, dass Mitglieder der rechten Szene hier leben und vor Ort aktiv sind. So sind bestimmte Straßen in Rudow oder auch in der Gropiusstadt immer wieder Ziel von Flyer-Aktionen des „III. Wegs“, auch die Anschläge im „Neukölln-Komplex“ hatten ihren Schwerpunkt im Süden des Bezirks.
Abschließend lässt sich beobachten, dass es in Neukölln trotz Lockdowns weiterhin zu vielen Bedrohungen und Beleidigungen gekommen ist. Auch die hohe Anzahl extrem rechter und antisemitischer Propaganda im Jahr 2021 deutet darauf hin, dass trotz Corona eine weitere Verbreitung dieser demokratiefeindlichen Meinungen ihren Weg in die Öffentlichkeit fand und keinesfalls beschränkt ist auf den vermeintlichen rechten Rand. Rassistische, antisemitische und LGBTIQ*-feindliche Vorstellungen sind in weiten Teilen der Gesellschaft zu finden.
Der deutliche Anstieg der dokumentierten Vorfälle 2021 lässt sich auf verschiedene Aspekte zurückführen. Die breitere Vernetzung des Registers in Neukölln zeigt ebenso Wirkung wie die vereinfachten Meldemöglichkeiten. Über soziale Medien wie Twitter, Messenger wie Signal und über ein Meldeformular auf der aktualisierten Webseite der Berliner Register haben mehr unterschiedliche Menschen Vorfälle gemeldet als in den Vorjahren. Gleichzeitig ist es ein langer Weg, die zahlreichen Diskriminierungsvorfälle eines Bezirkes wie Neukölln – in all seiner Vielfalt – noch stärker zu erfassen, um einen realistischeren Einblick in den Alltag diskriminierter Gruppen wie Menschen mit Behinderung, LGBTIQ*-Menschen, Sinti*zze und Rom*nja, Schwarzen Menschen, muslimisch und asiatisch gelesenen Menschen sowie gegenüber Menschen jüdischen Glaubens insgesamt zu ermöglichen.
Beispielvorfälle
24. Februar 2021
In der U8 kam es zuerst zu einem Streit zwischen zwei Fahrgästen, als einer den anderen auf dessen fehlenden Mund-Nasen-Schutz ansprach. Der Mann, der keine Maske trug, beleidigte den anderen daraufhin rassistisch, schlug ihm mit der Faust ins Gesicht und trat danach noch mit dem Fuß gegen dessen Kopf. An der Station Leinestr. stieg der Angreifer aus und entfernte sich.
Quelle: Register Neukölln, Polizeimeldung 0434 vom 25.2.2021
1. Mai 2021
Eine Frau, die sich als jüdisch zu erkennen gab, wurde von ihrem Nachbarn mit antisemitischen Stereotypen konfrontiert. Im Gespräch wurde sie mit vermeintlich positiven, antisemitischen Assoziationen belegt. Als diese als antisemitisch von ihr benannt werden, wird der weiteren Auseinandersetzung damit ausgewichen.
Quelle: MBR Berlin / RIAS
1. Juli 2021
Wegen eines Angriffs mit einem Messer auf einen Jamaikaner ist ein Haftbefehl gegen einen polizeibekannten Rechtsextremisten aus Berlin erlassen worden. Bei einem Streit im Stadtteil Rudow in Neukölln soll der 28-jährige Deutsche den 35-jährigen Mann aus Jamaika rassistisch beleidigt und mit dem Messer am Hals verletzt haben. Der 35-Jährige wurde im Krankenhaus behandelt.
Quelle: Register Neukölln, Berliner Morgenpost, 6.7.2021
1. Juli 2021
Insgesamt 47 Sticker wurden entdeckt und entfernt. Der Großteil der Aufkleber stammte vom III. Weg und hatte unterschiedliche Inhalte die sowohl LGTBIQ*-feindlich als auch antisemitisch waren. Entdeckt und entfernt wurde auch ein Schriftzug ANB (Autonome Nationalisten Berlin) sowie ein Keltenkreuz.
Quelle: Register Neukölln
21. September 2021
In Neukölln grenzte eine Lehrkraft ein Schulkind mit Behinderung vom Unterricht einer Schule aus, indem kein geeignetes Lehrmaterial angeboten wurde. Aus Datenschutzgründen werden keine Details veröffentlicht. Das Datum wurde zu Datenschutzgründen verändert.
Quelle: ADAS Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen
24. September 2021
Mehrere Männer haben am Freitag Nachmittag eine Transfrau zuerst beleidigt, bedroht und dann angegriffen. Einer der Täter riss ein mobiles Straßenschild aus der Verankerung bedrohte die Frau damit. Die Frau flüchtete und wurde von einem Mann weiter verfolgt. Als die Frau stürzte bildete sich eine Traube von Schaulustigen, bis ein Zeuge dazwischen ging.
Quelle: Register Neukölln, Berliner Zeitung, 25.9.2021
Der Jahresbericht mit allen Artikeln kann hier heruntergeladen werden.