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30.03.2023 Register Reinickendorf

Auswertung 2022 des Register Reinickendorf - Anstieg struktureller Diskriminierung


Das Register Reinickendorf dokumentiert seit 2015 extrem rechte und diskriminierende Vorfälle im Bezirk Reinickendorf. Seit 2017 pendelt die Gesamtzahl der in Reinickendorf gemeldeten Vorfälle um einhundert. Im Jahr 2022 lag sie mit 102 wieder leicht darüber (2021: 97). Wie im Vorjahr spielte sich der Löwenanteil der Vorfälle im öffentlichen Raum, in Bildungseinrichtungen und in Behörden ab (2022: 100; 2021: 95). Online-Vorfälle machten dagegen nur einen Bruchteil aus (2022: 3; 2021: 2). Reinickendorf ist nach Spandau der Bezirk mit den wenigsten Vorfällen. Die Gesamtzahl bewegt sich auf einem ähnlichen Niveau anderer westlicher wie Tempelhof-Schöneberg oder Steglitz-Zehlendorf. Die Zahl von Propagandavorfällen liegt in Reinickendorf im Vergleich zu den meisten anderen Bezirken in absoluten Zahlen und auch anteilig besonders niedrig (40 %), so dass andere Vorfallsarten stärker ins Gewicht fallen.

Vorfallsarten

Im Bereich der strukturellen Benachteiligung verdoppelte sich die Zahl der Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr (2022: 22, 2021: 10). Dieser Anstieg geht vor allem auf die gestiegene Zahl von Meldungen im Bereich Antiziganismus (9 Vorfälle) u. a. durch unseren Kooperationspartner Amaro Foro zurück. Allein 7 Vorfälle fanden am Ankunftszentrum Tegel statt, das seit März 2022 als zentrale Registrierungsstelle für Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin fungiert. Bei nicht-weißen Personen, legten Mitarbeiter*innen des Landesamts für Flüchtlinge und der Polizei strengere Maßstäbe an als bei weißen Geflüchteten, z.B. bei der Anerkennung von Dokumenten und von Gründen für die Registrierung in Berlin. Sie wurden auch durch Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes schlechter behandelt als Weiße. Besonders Familien, die als Rom*nja wahrgenommen wurden, wurden behandelt, als seien sie ein Sicherheitsrisiko. Eine Familie inklusive Mutter mit Baby wurde beispielsweise bei ihrer Ankunft eingekesselt. Im Fall von Geflüchteten überschnitten sich auch verschiedene Diskriminierungsformen. So wurde ein aus der Ukraine geflüchteter Mann afrikanischer Herkunft am Ankunftszentrum Tegel sowohl rassistisch als auch homofeindlich diskriminiert. In 2 Fällen wurden Geflüchtete auch durch die Betreiber*innen ihrer Gemeinschaftsunterkunft diskriminiert.

Als strukturelle Benachteiligung wurde auch die meist antiziganistisch motivierte Verweigerung von Leistungen durch Behörden (3 Vorfälle) oder Beratungsstellen (1 Vorfall) gefasst. Schüler*innen verschiedener Schulformen waren durch die Nicht-Anerkennung ihrer Trans-Identität (2 Vorfälle) oder eine rassistische Gesprächskultur in der Lehrer*innenschaft (1 Vorfall) betroffen. Darüber hinaus wurde ein Vorfall in der Kategorie Sonstiges erfasst (2021: 0). Dabei handelt es sich um die Erfahrung eines Schwarzen Grundschulkindes, dass andere Kinder nicht mit ihm spielen durften.

Die Zahl der Angriffe lag mit insgesamt 10 weiter auf dem seit 2015 erhöhten Niveau (2021: 8). Dies ist umso besorgniserregender, da wie im Vorjahr zusätzliche Zahlen des Landeskriminalamtes nicht in die Chronik eingeflossen sind. 6 Angriffe waren rassistisch, 2 schwulenfeindlich motiviert und 2 richteten sich gegen politische Gegner*innen. Sie ereigneten sich meist im Bereich von Gehwegen (6 Vorfälle), teilweise auch in Geschäften (2 Vorfälle) und im öffentlichen Nahverkehr (2 Vorfälle). Meist ging die Gewalt von einzelnen Männern (4 Vorfälle) oder Männergruppen (3 Vorfälle) aus. Auffällig ist, dass die Täter*innen oft auch ältere Frauen (2 Vorfälle), Babys, Kinder und Jugendliche (3 Vorfälle) angriffen, die ihnen körperlich unterlegen waren. In einem Fall wurden beispielsweise zwei 59- und 83-Jährige getreten, nachdem sie einem schwulen Pärchen zu Hilfe gekommen waren, das zuvor von einer Gruppe Jugendlicher beleidigt worden war. In einem anderen Fall bespuckte ein Mann, ebenfalls aus einer Gruppe heraus, nicht nur eine Mutter aus rassistischen Motiven, sondern auch das im Wagen liegende Baby. In zwei anderen Fällen ging die Gewalt von jeweils einem Mann und einer Frau aus. Darüber hinaus wurden die Kinder der Betroffenen bzw. des Täters zweimal Zeug*innen der Gewalt. Die Zahl verbaler Anfeindungen wie Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien sank leicht (2022: 24; 2021:29). Hier waren die meisten Vorfälle rassistisch (13 Vorfälle) und LGBTIQ*-feindlich (7 Vorfälle) motiviert. Der Großteil fand in Grund- und Oberschulen statt (11 Vorfälle).

Auch Propaganda und Sachbeschädigungen gingen zurück auf 41 (2021: 44) bzw. 2 (2021: 6) Vorfälle. Dem Bereich Sachbeschädigungen wurde das mehrfache Zerschneiden einer Regenbogenfahne eines Kindergartens im Märkischen Viertel sowie ein antisemitisch motivierter Brandanschlag auf eine Wohnanlage zugeordnet. Die dokumentierte Propaganda, wie Aufkleber, Schmierereien, Online-Posts oder Anträge in der Bezirksverordnetenversammlung, war in erster Linie rassistisch motiviert (18 Vorfälle). Darunter waren 7 Vorfälle, die Ressentiments gegen Geflüchtete schürten. Es folgten Rechte Selbstdarstellung (10 Vorfälle), die Verharmlosung und Verherrlichung des Nationalsozialismus (6 Vorfälle), darunter dreimal Hakenkreuze, und LGBTIQ*-feindliche Propaganda (4 Vorfälle).

Für 2022 wurden in Reinickendorf nur 2 Veranstaltungen dokumentiert (2021: 0). Im Juni gedachten Aktivist_innen der Neonazikleinstpartei Der III. Weg der Toten des Aufstandes von 1953 und gaben Kleiderspenden in einem Umsonstkaufhaus ab. Beide Aktion richteten sich nicht an ein großes Publikum, sondern dienten in erster Linie der Selbstdarstellung auf der eigenen Website.

Motive der Vorfälle

Das Hauptmotiv stellte wie in den Vorjahren Rassismus in seinen verschiedensten Schattierungen dar. Die Zahl rassistisch motivierter Vorfälle stieg stark (2022: 56; 2021: 37). Die Vorfälle in der Unterkategorie allgemeiner Rassismus erhöhten sich leicht (2022: 28, 2021: 23). Während die Zahl antimuslimisch-rassistisch motivierter Vorfälle etwa gleichblieb (2022: 3, 2021: 4), stiegen Vorfälle, die durch Anti-Schwarzen Rassismus (2022: 13, 2021: 10) und Antiziganismus (2022: 12; 2021: 1) motiviert waren, jeweils auf den höchsten Wert seit Beginn der Dokumentation. Damit lagen rassistische Vorfälle insgesamt wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Der vorübergehende Rückgang der Vorfälle in diesem Bereich zeigt vor allem, dass durch die Pandemie und den damit eingeschränkten Zugang zu Beratungsangeboten viele Vorfälle offenbar nicht dokumentiert wurden. Auch die Zahl der trans- homo- und queerfeindlichen Vorfälle steigerte sich weiter gegenüber den Vorjahren (2022: 16; 2021: 12). Dies spiegelt einen berlinweiten Trend, der mit der gestiegenen Hetze gegen homosexuelle, trans und queere Personen zusammenhängt. Jeweils 4 der Vorfälle lassen sich genauer als schwulen- und transfeindlich einordnen.

Vorfälle, die sich gegen Politische Gegner richteten (2022: 7; 2021: 13) sowie den Nationalsozialismus verherrlichten oder verharmlosten (2022: 10; 2021: 6) sanken. Bei den Motiven war der Rückgang in Reinickendorf besonders stark im Bereich Antisemitismus (2022: 2; 2021: 9). Im Unterschied zum Vorjahr sind keine antisemitisch motivierten Beleidigungen im öffentlichen Raum gemeldet worden (2021: 4).

In den Bereichen Rechte Selbstdarstellung, (2022: 12; 2021: 13), Behindertenfeindlichkeit (2022: 3; 2021: 2) und Sozialchauvinismus (2022: 0; 2021: 1) bewegten sich die Zahlen auf dem Niveau des Vorjahres. Die Vorfälle im Bereich Rechte Selbstdarstellung umfassten vor allem Aufkleber, die für verschiedene extrem rechten Organisationen, Onlinehandelsseiten und Medien warben.

Verteilung auf die Ortsteile

Die Verteilung auf die Ortsteile folgt den Mustern der Vorjahre, allerdings lagen nun fünf von elf Ortsteilen im zweistelligen Bereich statt bisher drei oder vier. Die meisten Vorfälle wurden für die Ortsteile Reinickendorf und Tegel dokumentiert (jeweils 2022: 20; 2021: 25). Obwohl die Zahl struktureller Benachteiligung aufgrund der Lage des Ankunftszentrums in Tegel stieg, sank die Zahl der Vorfälle im Ortsteil insgesamt, weil Propagandavorfälle zeitgleich stark abnahmen.

Wittenau lag mit 16 Vorfällen auf dem dritten Rang (2021: 16). Ein Teil davon hängt mit der Lage des Rathauses in Wittenau zusammen: Drei Vorfälle betrafen Diskussionen in der Bezirksverordnetenversammlung, zwei strukturelle Benachteiligung im Sozialamt. Im Märkischen Viertel stiegen die Vorfälle und näherten sich wieder dem Niveau der Jahre vor 2019 (2022: 11; 2021: 3)

In den Ortsteilen mit den meisten Vorfällen gibt es auch die meisten gewaltsamen und verbalen Übergriffe im öffentlichen Raum. Drei von 6 rassistisch motivierten Angriffen ereigneten sich im Märkischen Viertel, zwei in Reinickendorf-Ost. In einem Fall ist der Ortsteil unbekannt. Zwei schwulenfeindliche Angriffe fanden ebenfalls im Ortsteil Reinickendorf statt. Unter anderem wurde ein ukrainischer Flüchtling in einer Drogerie am Kurt-Schumacher-Platz von zwei Männern schwulenfeindlich beleidigt und bewusstlos geprügelt. Am Rande von Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Alt-Tegel wurden im Februar 2022 zweimal Gegendemonstrant*innen angegriffen, darunter eine 72-Jährige. Auch die meisten verbalen Anfeindungen fanden im Märkischen Viertel und in Reinickendorf statt (jeweils 5 Vorfälle), gefolgt von Tegel und Wittenau (jeweils 3 Vorfälle).

In Frohnau stieg die Zahl der Vorfälle weiter (2022: 10; 2021: 7), was vor allem auf eine steigende Zahl von Neonazi-Aufklebern mit Slogans wie „white lives matter“ oder „NS-Zone“ (6 Vorfälle) zurückgeht. In den übrigen, durch Wohngebiete bzw. die Lage am Stadtrand geprägten Ortsteilen lag die Zahl der Vorfälle auf dem niedrigen Niveau der Vorjahre (Borsigwalde: 2 (2021: 0), Heiligensee: 0 (2021: 1), Hermsdorf: 2 (2021: 2), Konradshöhe: 0 (2021: 0), Lübars 1 (2021: 2) Waidmannslust: 2 (2021:3)). In 15 Fällen betraf der Vorfall den ganzen Bezirk, der Ortsteil blieb unbekannt oder wurde zum Schutz der Betroffenen anonymisiert (2021: 12).

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